Gangsta-Rap – eine Studie
Rezeption von Schüler*innen der Sekundarstufe I
2016, gekürzt und zusammengestellt von Medienradar, 08/2020
Methodik
Die Erhebung wurde in insgesamt neun 10. Klassen vier unterschiedlicher Schularten durchgeführt: in zwei Klassen einer Werkrealschule, in zwei Klassen einer Realschule, in zwei Klassen einer privaten Realschule sowie zu Vergleichszwecken in drei Klassen eines Gymnasiums.
Bei der Untersuchung stand die Frage im Vordergrund, welche Art von Gangsta-Rap die Schüler*innen rezipieren und wie sie das Genre insgesamt aus ihrer Sicht beurteilen. Besonders interessant erschien es zu beleuchten, welche Rezeptionsunterschiede es bezüglich der verschiedenen Schularten gibt. Die Ergebnisse dienen unter anderem dazu, einschätzen zu können, ob und in welcher Form Gangsta-Rap oder Rap allgemein in der Schule thematisiert werden sollte.
Die Erhebung ist von rein qualitativer Natur, d. h. die gewonnenen Ergebnisse können nicht mit statistischen Verfahren auf eine Grundgesamtheit hochgerechnet werden.
Fragebogen
Beim Entwurf eines Fragebogens und der Durchführung der Befragung wurde auf einige wesentliche Punkte geachtet, um die Schüler*innen zu motivieren, ernsthaft teilzunehmen und wahrheitsgemäße Angaben zu machen sowie um Verständnisprobleme von Seiten der Teilnehmenden möglichst zu vermeiden. Der Autor der Arbeit folgte bei der Konstruktion des Fragebogens den Psycholog*innen Mummendey und Grau (2014: 39), nach deren Einschätzung „alle Bestandteile von Fragebogen, die Fragen selbst, deren Reihenfolge, die Antwortalternativen und die Antwortskalen selbst einen Einfluss auf die Informationsverarbeitung“ und somit auch auf die Antworten hatten. Danach sollten die Formulierungen möglichst neutral und einflussfrei formuliert worden sein.
Für das Ausfüllen des Fragebogens wurde eine Unterrichtsstunde von 45 Minuten veranschlagt. Bevor der Fragebogen an die Klasse ausgeteilt wurde, wurden die wesentlichen Punkte gemeinsam besprochen. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass die Studie anonym ist und die Teilnehmenden keinerlei Nachteile zu befürchten hätten.
Der zweiseitige Fragebogen ist inhaltlich in drei Teile strukturiert. Im ersten Teil (Fragen 1–7) gaben die Teilnehmenden der Studie Auskunft über ihre persönlichen Bezüge zum Gangsta-Rap, ihre Präferenzen hinsichtlich der Rezeption von Gangsta-Rap. Im zweiten Teil wurden die Meta-Kenntnisse der Schüler*innen über das Genre geprüft, indem die Bedeutung von Fachausdrücken abgefragt wurde. Im dritten Teil äußerten die Befragten ihre persönliche Meinung über Gangsta-Rap. Am Ende gaben die Schüler*innen Auskunft über ihren persönlichen Hintergrund.
Zur Motivation wurde zu Beginn des Fragebogens ein Ausschnitt eines relativ bekannten Rap-Textes abgebildet, der gleichzeitig die Einstiegsfrage, was Gangsta-Rap sei, beantwortet hat. Die erste Frage diente weniger der eigentlichen Auswertung, sondern sollte im Falle von Unklarheiten vor Ort und Stelle zur Klärung führen. Dies erschien notwendig, da Gangsta-Rap – wie anfangs erläutert wurde – nicht grenzscharf definiert werden kann.
Die Fragen 2 und 3 bezogen sich als ebenfalls geschlossene Fragen mit vorgegebenen Antwortalternativen auf die generelle Präferenz, auf die allgemeinen Rezeptionsgewohnheiten der Schüler*innen. Die Fragen waren jeweils mit einem Kreuz aus vier Möglichkeiten zu beantworten.
Die Fragen 4 bis 7 dagegen waren offene Fragen, das heißt, die Befragten haben eigene Antworten formuliert. Es wurden keine Antwortoptionen vorgegeben. Frage 4 zielte darauf herauszufinden, wie intensiv die Schüler*innen sich mit der Rap-Szene beschäftigen. Die Fragen 5 und 6 nach bestimmten Vorlieben für gewisse Interpret*innen sind in Bezug zu den an anderer Stelle definierten Lagern zu sehen. Auf diese Weise ließ sich der Musikgeschmack jedes*r Einzelnen zumindest annähernd einschätzen. Die Zusatzfragen nach dem „Was“ beziehungsweise „Warum“ enthüllten die Motivation, die hinter der Präferenz steckt. In Frage 7 ging es weniger um die Hauptfrage („Welcher Titel ...“) als um die Zusatzfragen: Zum einen wurde das Textverständnis bezüglich eines beliebten, vermutlich mehrmals gehörten Rap-Songs abgefragt. Zum anderen sollte für jede Konstituente des Werkes angegeben werden, wie sehr sie den Schüler*innen gefällt. Damit es sich die Befragten nicht zu einfach machen konnten, wurde ganz bewusst auf die Antwortalternative „weiß ich nicht“ verzichtet. Diese Möglichkeit wurde mündlich angeboten für den Fall, dass eine bestimmte Einheit des Songs – zum Beispiel das Video – nicht existierte oder den Teilnehmenden unbekannt war. Bezüglich sämtlicher Fragen wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, je nach Präferenz auch Rapper*innen nennen zu dürfen, die nicht dem Genre des Gangsta-Rap angehören.
In Teil 2 des Fragebogens wurde das Metawissen der Schüler*innen anhand von drei Fachbegriffen aus dem Hip-Hop getestet. Es wurden drei Antworten zur Auswahl vorgegeben, von denen nur eine richtig war. Außerdem gab es die Möglichkeit, das Feld „KEINE AHNUNG!“ anzukreuzen.
In Teil 3 war die eigene Meinung der Schüler*innen gefragt. Anhand von 27 vorgegebenen Eigenschaftswörtern gaben die Teilnehmer*innen an, wie sie Gangsta-Rap-Songs überwiegend einschätzen. Die Antworten geben einen Anhaltspunkt dafür, wie die Rezeption auf sie wirkt. Allerdings muss man beachten, dass die Antworten zum einen davon abhängen, welche exakte Bedeutung individuell mit den Adjektiven verbunden wird, zum anderen davon, welche Art von Songs und Interpret*innen bevorzugt rezipiert werden.
Anschließend wurde durch zwei Fragen festgestellt, ob Anschlusskommunikation stattfindet und ob gewünscht wird, Gangsta-Rap auch in der Schule durchzunehmen.
Am Ende des Fragebogens wurden persönliche Angaben der Schüler*innen abgefragt. Es war zu erwarten, dass die Rezeptionsgewohnheiten sehr deutlich vom Geschlecht abhängen. Die abschließende Frage nach den zu Hause gesprochenen Sprachen sollte auf diskriminierungsfreie Weise den jeweiligen Migrationshintergrund erschließen.
Auswertung
Von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, beantworteten die an der Studie teilnehmenden Schüler*innen die Fragen konzentriert, motiviert und wahrheitsgemäß. Dies schloss der Verfasser der vorliegenden Studie aus seiner Wahrnehmung vor Ort sowie aus den durchweg plausiblen Ergebnissen. Nur ein einziger Fragebogen konnte nicht verwendet werden.
Insgesamt wurden 193 Schüler*innen der 10. Klasse befragt, 38 in der Werkrealschule (WRS), 47 in der Realschule (RS), 42 in der privaten Realschule (Priv. RS) sowie 66 im Gymnasium (Gym). 26 % der Befragten sprechen zu Hause neben Deutsch noch eine weitere Sprache. Vereinfacht wird hier von einer Art von Migrationshintergrund ausgegangen. 59 % der Befragten sind männlich, 41 % weiblich. Da das Geschlechterverhältnis von Schule zu Schule differiert – 67 % männliche Schüler an der privaten Realschule und 53 % am Gymnasium – und das Rezeptionsverhalten signifikant vom Geschlecht abhängt, muss dieser Aspekt bei der Bewertung der Ergebnisse stets berücksichtigt werden.
Fazit
In den Angaben der Schüler*innen, die zu ihren Rezeptionsgewohnheiten befragt wurden, zeigt sich sowohl die gesamte Vielfalt der Szene als auch die große Beliebtheit weniger Gangsta-Rapper*innen. Hervorzuheben ist, dass die Präferenzen der Schüler*innen sowie ihre Hörgewohnheiten signifikant von ihrer Schulprovenienz abhängen. Während Werkrealschüler*innen tendenziell „authentische“ Gangsta-Rapper*innen bevorzugen, sind „ironischer“ Gangsta-Rap und andere Spielarten des Rap schwerpunktmäßig bei Schüler*innen anderer Schularten beliebt.
Diese Verschiedenheit zeigt sich auch in der Einschätzung der Jugendlichen hinsichtlich der Gleichartigkeit oder Ähnlichkeit von Rap und Lyrik. Werkrealschüler*innen neigen eher dazu, die Genres Rap und Lyrik klar voneinander abzugrenzen als Schüler*innen anderer Schularten. Sie sehen in einem Rap-Song in geringerem Maße die Parallelen zum Gedicht sowie die Bedeutung des Textes und achten weniger auf sprachliche Besonderheiten. Außerdem zeigen sie geringere Motivation, einen Rap-Text sprachlich zu untersuchen.
Die Vielfalt, die sich in den Rezeptionsmöglichkeiten des Rap findet, wird von den meisten Jugendlichen vermutlich aufgrund fehlender Kompetenzen nicht vollends ausgeschöpft. Dies und das große Interesse der Schüler*innen am Rap können als Chance für den schulischen Umgang mit Rap-Songs gesehen werden. Die Multimedialität der Rap-Songs und insbesondere die Nähe zu lyrischen Texten eröffnen mannigfache Wege zur Erschließung dieser Kunstwerke.
Wenn jedoch Lehrkräfte das Thema Rap aufgreifen, Erwachsene also in einen Bereich eindringen, der bislang Jugendlichen vorbehalten ist, muss Sorgfalt walten. Den Wünschen der Jugendlichen muss Rechnung getragen werden. Andernfalls kann die Motivation der Schüler*innen, ihr Interesse am Gegenstand, in Ablehnung und Verweigerung umschlagen.
Mummendey, Hans Dieter & Grau, Ina: Die Fragebogen-Methode. Göttingen 2014
Markus Sator veröffentlichte 2016 eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema Gangsta-Rap – eine Studie zur Rezeption von Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I. Als Autor entwickelt er Beiträge und Lehrmaterial für Medienradar.
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