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Gewaltbefürwortung und -förderung

Gewaltdarstellungen als Risikodimension im Jugendmedienschutz

Brigitte Zeitlmann

Medienradar, 06/2020

Wann kann Gewalt in audiovisuellen Medien eine befürwortende Haltung bei Kindern oder Jugendlichen bewirken? Um diese Frage zu beantworten, muss man die Tendenz eines Angebots und seine Botschaft feststellen, dabei spielt die Betrachtung des Kontextes eine große Rolle. Durch die Berücksichtigung von Handlung, Inhalt, Dramaturgie, Darstellungsebene und Identifikationsprozesse kann dann eine mögliche Wirkung auf Kinder oder Jugendliche beurteilt werden. Im Folgenden werden einige Medienbeispiele aufgeführt, die das Thema der Gewaltbefürwortung oder -förderung näher beschreiben sollen. Da diese Wirkung vornehmlich bei ab 12-Jährigen relevant wird, liegt der Fokus der Beispiele bei 12- bis 16-Jährigen.

Ab 12

12-Jährige können einzelne gewaltgeprägte Szenen bereits dem Kontext zuordnen. Überwiegt also eine gewaltkritische Gesamtaussage oder ein deutlicher die Gewalt relativierender Kontext, so können auch Formate für diese Altersgruppe freigegeben werden, die in wenigen Szenen eine gewisse Faszination an Gewalt vermitteln. Diese Szene aus der Serie MacGyver kann Lust und Faszination an actionhaltiger Gewalt bei dem Zuschauenden bedienen. Doch ist der Kontext hier entscheidend. Denn in der Gesamtschau wird deutlich, dass die Identifikationsfiguren für Frieden und Gerechtigkeit einstehen. Die Held*innen agieren eben nicht aus reiner Lust an Gewalt, sondern setzen sie vornehmlich zur Verteidigung gegen die Kriminellen ein. Eine Gefahr der Nachahmung für 12-Jährige wird deshalb ausgeschlossen. Diese Altersgruppe kann das deutlich fiktive und für eine Actionhandlung typische Geschehen dem Genre zuordnen und sich dadurch entsprechend von der Handlung distanzieren.

Ab 16

Gestalten sich die Bilder detaillierter und ist der Kontext weniger eindeutig, so kann eine angemessene Einordnung erst ab 16-Jährigen zugetraut werden. In dem Musikvideo „Framed“ von Eminem schlüpft der Künstler in die Rolle eines vermeintlichen Serienmörders, der von den Medien und der Öffentlichkeit vorverurteilt und zu Unrecht gejagt wird. Die Refrainzeile „I was framed“ lässt sich mit „ich wurde hereingelegt“ übersetzen. Gewaltbefürwortung oder -faszination für 16-Jährige ergibt sich hier nicht, da sich der Rapper nicht als cooler oder gleich gar überlegener Täter, sondern vielmehr als Opfer inszeniert, das fälschlich angeklagt wird. Das Pathologische und Verrückte seiner Rolle steht dabei beständig im Vordergrund. Eine Faszination für die Bluttat wird nicht transportiert, auch keine Verharmlosung oder Rechtfertigung. Auf der Metaebene vermittelt sich vielmehr Gesellschaftskritik, da von der Ohnmacht des Individuums gegen übermächtige Institutionen, aber auch gegen die Berichterstattung in den Medien und öffentliche Vorverurteilungen erzählt wird. Die Tonlage ist geprägt von Ironie und Doppelbödigkeit, was ab 16-Jährige schon decodieren können. Selbst wenn Vertreter*innen dieser Altersgruppe eine andere Lesart ansetzen, lässt sich feststellen, dass die Figur des Serienkillers eindeutig nicht positiv konnotiert wird. Gewalt erhält in seiner bildlichen Darstellung etwas Abstoßendes.

Opferperspektive

Bei der Beurteilung von Einzelszenen ist darauf zu achten, ob die Gewalt aus der Perspektive des Täters*der Täterin oder des Opfers gezeigt wird. Auch wenn die opferzentrierte Perspektive bei Zuschauer*innen oft erheblichen Einfühlungsstress verursacht und damit ängstigend wirken kann, so erzeugt sie doch ein starkes Mitgefühl mit dem Opfer und bewirkt bei den Betrachtenden eine Ablehnung der Gewalt. In dieser Szene von „The Salvation“ ist der*die Zuschauer*in deutlich auf der Seite der Familie, das brutale Handeln der Mitreisenden enthält keinen befürwortenden Charakter. Doch wie wäre es, wenn der Vater die Täter erschossen hätte? Im Aufgaben-Set des Dossiers Jugendmedienschutz in Deutschland befindet sich zu diesem Medienbeispiel eine Aufgabe (A3 - Wirkung von Gewalt – in Filmen) für die Klassenstufen 7/8 und 9/10.

Täterperspektive

Die Täterperspektive hingegen macht die dargestellte Gewalt leichter konsumierbar, denn die Zuschauenden können sich mit der Macht und Stärke des Täters*der Täterin identifizieren, wodurch ein Mitgefühl für die Opfer in den Hintergrund treten kann. In solchen Fällen ist eher ein Ansteigen der Gewaltbereitschaft und der Akzeptanz von Gewalt zu befürchten. Der Film Kill Bill – Volume 1 von Quentin Tarantino ist diesbezüglich nicht einfach einzuschätzen. Denn man kann eine Ambivalenz hinsichtlich der Interpretationsmöglichkeiten feststellen. Einerseits ist durchaus von einer Verharmlosung oder Verherrlichung der Gewalt sprechen, da die Hauptfigur cool und attraktiv ist, ihr Rache-Akt emotional nachvollziehbar und ihr Gewalthandeln gleichzeitig ungebrochen ist. Andererseits wird – wie bei den Filmen von Tarantino üblich – Gewalt auch ironisiert und derart übertrieben inszeniert, dass sie eine starke Künstlichkeit erhält. Eine Distanzierung von dem Geschehen ist durch diese unrealistische Überzeichnung möglich. Im Aufgaben-Set des Dossiers Jugendmedienschutz in Deutschland befindet sich zu diesem Medienbeispiel eine Aufgabe (A3 - Wirkung von Gewalt – in Filmen) für die Klassenstufe 9/10.

Ästhetisch ansprechende Gewalt

Gewaltdarstellungen können die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen auch beeinträchtigen, wenn sie eine besonders ansprechende Ästhetik haben oder Gewalt dabei sogar „abgefeiert“ wird. Somit kann eine gewisse Faszination an Gewalt vermittelt werden; häufig geht dies auch mit einer Verharmlosung der Folgen von Gewalt einher. Ausgespielte oder spekulative Gewaltdarstellungen können auch für Ältere problematisch sein und sogar als sendeunzulässig eingestuft werden. Bei dem Film Sherlock Holmes – Spiel im Schatten ist dies nicht der Fall, weshalb er eine FSK-Freigabe ab 12 Jahren erhielt. Der Sender wollte jedoch Jüngeren nicht jede Szene zumuten und kürzte den Film für das Tagesprogramm stark ein. Hier ist ein Auschnitt aus der ungeschnittenen Fassung zu finden, die recht fulminant ausfällt. Im Aufgaben-Set des Dossiers Jugendmedienschutz in Deutschland finden Sie eine Gegenüberstellung der Originalfassung mit der gekürzten Fassung für die Tagesprogrammierung und eine damit verbundene Aufgabe für die Klassenstufe 7/8 (A4 - Wirkung von Gewalt in Filmen) und die Klassenstufe 9/10 (Aufgabe 4 - Vergleich geschnitten vs. ungeschnitten).

Ausgespielte Gewalt

Fällt die Gewalt besonders drastisch und brutal aus und geschieht dies fast beiläufig, so kann auch eine Desensibilisierung für Gewalt angenommen werden. Serien- und genretypisch zeigt das Beispiel The Walking Dead, dass die Menschen die tumben Beißer töten, indem sie ihre Köpfe zerschmettern. Erst ab einem bestimmten Alter kann die Massierung der drastischen und routinierten Tötungshandlungen adäquat eingeordnet werden. Zwar erscheint die Gewalt eher abschreckend und eben nicht attraktiv, doch für das Zeigen empathischer Reaktionen der Protagonist*innen fehlt in vielen Szenen schlicht die Zeit. Eine vermutete Gewöhnung an drastische Gewalt, die von den Protagonist*innen zunehmend gleichgültig und unkritisch als Mittel zum Überleben praktiziert wird, kann angenommen werden. Die Serie The Walking Dead erhält deshalb üblicherweise eine Freigabe ab 16 oder in manchen Ausnahmen auch ab 18 Jahren.

Wie wirkt Gewalt, wenn sie nicht in ein fiktionales Werk eingebettet ist? Das kommt natürlich ganz auf den Kontext und die Darstellung an. In diesem Fall handelt es sich um kurze Darstellungen von MMA-Kämpfen, bei denen man vermuten kann, dass sie äußerst brutal sein können. Allerdings werden sie auch in ein – sehr liberales, aber trotzdem vorhandenes – sportliches Regelwerk eingeordnet. Es geht hier also nicht um einen unkontrollierten Kampf, sondern um einen regulierten Sportwettkampf, was bereits 12-Jährige erkennen können. Auf der anderen Seite wird hier nicht einfach ein Kampf abgebildet. Etwa die Hälfte der Treffer wird in Zeitlupe gezeigt. Die Kampfszenen werden mit einer Kommentierung der Superlative versehen, die, in Kombination mit der Bildebene, durchaus eine Gewalt befürwortende bzw. fördernde Wirkung haben kann. Doch für welches Alter? Der FSF-Prüfausschuss entschied eine Freigabe ab 12 Jahren. Wie würden die Schüler*innen entscheiden?

Zusammengestellt von

Brigitte Zeitlmann ist hauptamtliche Vorsitzende in den Prüfausschüssen und arbeitet in dem Bereich der Medienpädagogik bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF). Als Redakteurin verantwortete sie beim multimedialen Lehrangebot Faszination Medien den Bereich Jugendschutz und war jahrelang Mitglied der Auswahlkommission der Internationalen Filmfestspiele Berlin (Berlinale) Generation. Sie ist außerdem Prüferin bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) sowie regelmäßig Mitglied der Nominierungskommission und Jury des Grimme-Preises.

[Bild: Sandra Hermannsen]