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Unfassbar nice!?

Tabubrüche im Battle-Rap und Jugendschutzaspekte

Claudia Mikat

in: tv diskurs: 22. Jg., 3/2020 (Ausgabe 93); überarbeitet von Medienradar, 08/2020

Im Gangsta- oder Battle-Rap stilisieren sich viele Künstler*innen selbst zu zentralen Held*innen des genretypischen Narrativs: Sie sind die Underdogs, die am Rande der Gesellschaft Lebenden, die es „nach oben“ geschafft haben und es nun „allen zeigen“ können. Die Abrechnung mit Zweifler*innen, Neider*innen oder Konkurrent*innen funktioniert meist über eine vulgäre, sexualbezogene Sprache. Der gesellschaftliche Aufstieg gelingt über den Erfolg als Künstler*in und/oder als Gangster*in, wobei häufig Assoziationen zu Drogenhandel und Gewaltkriminalität hergestellt werden.

„Lass Fotzen reden!“, singt Nima Yaghobi alias Nimo (LFR, 2017) und umfährt fröhlich, auf einem Quad sitzend, einen Kieshügel. Felix Blume und Farid Hamed El Abdellaoui, die sich als Kollegah und Farid Bang „jung, brutal und gutaussehend“ geben, wandern zwischen Straßenfeuern und Monstertrucks durch eine dystopische Stadtlandschaft und finden es an der Zeit, „wieder paar Mütter zu ficken“ („Sturmmaske auf“, 2017). Und der als „hochentzündlich“[1] geltende Hamburger Rapper Kristoffer Jonas „Gzuz“ Klauß fuchtelt mit Waffen und Drogen herum und sinniert darüber, im „Backstage“ eine „Alte“ zu „zerfetzen“ („Was hast Du gedacht?“, 2018). Der kalkulierte Tabubruch ist für den sogenannten Gangsta- oder Battle-Rap konstitutiv. Wie geht man unter Jugendschutzgesichtspunkten mit dem Genre und der Szenesprache um?

Im Gangsta- oder Battle-Rap stilisieren sich viele Künstler*innen selbst zu zentralen Held*innen des genretypischen Narrativs: Sie sind die Underdogs, die am Rande der Gesellschaft Lebenden, die es „nach oben“ geschafft haben und es nun „allen zeigen“ können. Die Abrechnung mit Zweifler*innen, Neider*innen oder Konkurrent*innen funktioniert meist über eine vulgäre, sexualbezogene Sprache. Der gesellschaftliche Aufstieg gelingt über den Erfolg als Künstler*in und/oder als Gangster*in, wobei häufig Assoziationen zu Drogenhandel und Gewaltkriminalität hergestellt werden. Er manifestiert sich in materiellen Werten und Statussymbolen sowie in vielen Fällen männlicher Rapper über die vermeintlich unbegrenzte Verfügbarkeit von Frauen. Die eben genannten Beispiele deuten bereits an, dass dieser Rahmen unterschiedlich ausgefüllt werden kann. Entsprechend variieren die Wirkungsvermutungen und Freigaben der Clips.

Bei Nimo erschöpft sich das behauptete Gangstertum im Rauchen – und im fortwährenden Herunterleiern des Refrains „Lass Fotzen reden!“ Die harmlosen Bilder unterstreichen den kryptischen Text um Erfolg und Lebensstil des Performers, der es offenbar genießt, viel Geld zu verdienen und auf Europatour zu gehen, während andere „Pfandflaschen abgeben“ müssen. „Fotze“ bezeichnet in diesem Kontext eine nicht weiter spezifizierte Gruppe von Missgünstigen, die dem Künstler absprechen, „real“ zu sein. „Lass die Leute doch reden“ ist somit die eigentliche Bedeutung des Refrains. Der zuständige Prüfausschuss erkennt darin keine sozialethische Desorientierung und gibt den Clip ab 12 Jahren und für das Tagesprogramm frei.

Lässt sich aus einer szenesprachlichen Bedeutungsverschiebung ein entsprechendes Verständnis bei allen Jugendlichen und sogar bei Kindern schlussfolgern? Unter dem Eindruck von #MeToo- und Hate-Speech-Debatten provoziert die Nimo-Entscheidung heute auch Widerspruch. Schließlich wertet „Fotze“ nach allgemeinem Verständnis in erster Linie Frauen ab. Die häufige Verwendung des Begriffs könnte dazu beitragen, eine frauenverachtende, diskriminierende Sprache zu legitimieren und zu normalisieren.

Was bei Kollegah und Farid Bang wie der Aufruf zu einer Straßenschlacht mit schwerem Geschütz anmutet, ist ebenfalls „nur“ Szenesprache. Ein Diss anderer Rapper wie Laas, MOK oder Sido, ein Duell auf Battle-Rap-Ebene und die Art von „In-die-Fresse-Musik“, die von Fans offenbar gewünscht wird. „Punchlinemäßig geht das gut“, meint Webvideo-Macher Smoot, der den Song auf seinem YouTube-Kanal Smootube vorstellt und schwärmt: „Unfassbar nice!“[2]

Sicher können viele jüngere Jugendliche bereits den stereotypen, klischeehaften Charakter des Gangsta-Rap-Geprotzes erkennen und werden die idealisierten Macho-Posen, die abschätzigen Blicke und die martialische Gebärdensprache nicht vollkommen ernst nehmen. Die ethische Einordnung der gewaltorientierten Botschaften wird aber erst ab 16-Jährigen zugetraut. Schließlich enthält das Aktionsportfolio des Duos ausschließlich Gewaltphantasien, und diese treffen nicht nur andere Rapper*innen. Für einen guten Reim machen die Künstler vor Unbeteiligten – und wie unlängst bekannter wurde selbst vor Holocaustopfern – nicht halt. Die verbalen Attacken richten sich insbesondere auch gegen Frauen. Carolin Kebekus wird als „Nutte“ beschimpft, Rapper Sido mit sexistischen Versen über seine „Braut“ provoziert. Zum Genre gehört eben auch, Frauen auf Sexobjekte zu reduzieren und sexuelle Phantasien mit aggressiven Impulsen zu unterlegen.

Der Hamburger Rapper Gzuz (für „Ghetto Zeug unzensiert“) hebt das Genretypische auf ein neues Niveau, indem er seine Botschaften ohne jede Brechung transportiert. Das Video zum Song „Was hast du gedacht?“ heroisiert Waffen, bagatellisiert Drogenkonsum und kriminelle Handlungen und transportiert ein sexistisches Bild von Frauen, die nur noch als Hinterteile in Stripclub-Pose in Szene gesetzt werden. Sexualisierte Gewalt oder das Hochladen von Sexvideos ohne das Einverständnis der Betroffenen werden als „ganz normal“ dargestellt.

Für viele 16-Jährige ist Gzuz vermutlich keine anschlussfähige Persönlichkeit und kann wie andere Interpret*innen als popkulturelle Kunstfigur erkannt werden. Für andere kann der Rapper jedoch Orientierungsfunktion besitzen. Denn er ist „real“ und besitzt wegen seiner Herkunft und kriminellen Vergangenheit ein hohes Maß an Authentizität („Ich lebe das Klischee“). „Die Betrachtung des Gangsta-Rap als popkulturelles Phänomen mit einer künstlerischen Überhöhung und einer Fiktionalisierung des Geschehens“ greift in diesem Fall nicht, so der Prüfausschuss. Er befürchtet die Befürwortung einer frauendiskriminierenden Haltung und eines kriminellen Lebensstils und erteilt eine Freigabe erst ab 18 Jahren.

Musikvideos erzählen Geschichten, die sie auf kurze Szenen, Andeutungen und Symbole verdichten. Das Gangsta-Klischee lebt von brachialen Männlichkeitsbildern, die z.T. wie Karikaturen ihrer selbst wirken und von vielen Jugendlichen auch decodiert werden können.

Teilweise liegt unter der überzeichneten Szenerie aber ein sehr verächtliches Menschen- und Frauenbild. Vor allem, wenn dies mit Gewaltimpulsen verknüpft wird, ist das ernst zu nehmen. Um in der Szenesprache zu bleiben: Auch „eine krass geflowte Vergewaltigungsphantasie auf einem fetten Beat [ist] immer noch eine Vergewaltigungsphantasie“[3].

Nachtrag der Medienradar-Redaktion

Im März 2020 – zwei Jahre nach Ersterscheinung des Beitrags – wurde das Musikvideo zu Gzuz‘ Lied „Was hast du gedacht?“ von der BPjM als jugendgefährdend eingestuft und indiziert. Als Begründung wird seitens des Prüfgremiums angeführt, „dass der Inhalt des Videos Frauen diskriminiert, einen kriminellen Lebensstil propagiert, verrohend wirkt und zu Gewalttätigkeiten anreizt.“[4] Das FSF-Urteil steht nur bedingt in Widerspruch zu dieser Entscheidung, weil für die Verbreitung im Rundfunk und für die Indizierung von Träger- und Telemedien unterschiedliche Maßstäbe gelten. Für die Zukunft bedeutet die Entscheidung der BPjM aber ein Verbreitungsverbot des Clips im Fernsehen.

1. Cranach, X. v. / Skrobala, J.: Hamburger Rapper GZUZ: „Obacht, der ist hochentzündlich, der Typ“, in: Spiegel Online, 01.06.2018, http://www.spiegel.de/plus/gzuz-von-187-strassenbande-was-ist-kriminell-was-ist-pose-a-00000000-0002-0001-0000-000157647631 (abgerufen am 17.07.2018).

2. Smootube: STURMMASKE AUF! Kollegah & Farid Bang ESKALIEREN! Lyrics, in: Smootube, 01.10.2017, https://www.youtube.com/watch?v=IrIJB5Bl2DQ (abgerufen am 17.07.2018).

3Sookee: Wordnerd, Interview, in: rap.de, 04.01.2012, https://rap.de/soundandvideo/9975-wordnerd/ (abgerufen am 17.07.2018).

4. Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien: Entscheidungen und Verfahren im 1. Quartal 2020, in: PJMAKTUELL 2/2020, https://www.bundespruefstelle.de/blob/155818/7d18b775dc120654f8bf11f0f7a1dc33/20202-entscheidungen-und-verfahren-im-1--quartal-2020-data.pdf (abgerufen am 11.08.2020).

Autorin

Claudia Mikat ist Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF).

[Bild: Sandra Hermannsen]