Artikel

„The Bass, the treble, don't make a rebel“

Wandel emanzipatorischer Praktiken der Hip-Hop-Kultur in Deutschland

Christian Meyer

in: Das Argument – Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften, Heft 327, 3/2018

Über die Jahre hat sich die Hip-Hop-Kultur in Deutschland ausdifferenziert. Rap hat sich dabei, der Entwicklung in den USA nicht unähnlich, in weiten Teilen von der Hip-Hop-Kultur abgekoppelt und wurde zum kommerziell erfolgreichen Massenphänomen. Bemerkenswert ist, dass besonders migrantische Akteurinnen und Akteure aus prekären Verhältnissen (oder solche, die dies zumindest vorgeben) dabei zu Superstars geworden sind. Für die folgenden Generationen waren nicht der Untergrund und der kreative Wettstreit von Bedeutung, sondern die tabulose und aggressive Sprache, der jedoch jegliche Konsumkritik fernliegt. Häufig wird hier das Bild eines Rebellen mit Migrationshintergrund präsentiert, der einer stereotypen Vorstellung folgt. Begrenzen sich die Kritikerinnen und Kritiker jedoch lediglich auf den Aspekt der rabiaten Ausdrucksform des gegenwärtigen Rap, ohne sich tiefergehend mit der Situation der marginalisierten Jugendlichen auseinanderzusetzen, so werden sie der komplexen Thematik nicht gerecht. Vielmehr kann man die Inhalte des Rap durchaus auch als Spiegel der Gesellschaft betrachten. Christian Meyer geht in seinem Artikel der Entwicklung des Rap nach und beleuchtet die aktuelle Inszenierung des Musikgenres in Deutschland.

Die erste Welle des Berliner Battle-Rap kommt noch aus der Freestyle-Cypher-Kultur der Jams [...]. Sie stellt aber dabei alle Prinzipien, die die Szene im sozialen Umgang etabliert hatte, infrage. „Mit Westberlin Maskulin und Marcus Staigers Label Royal Bunker blies ein anderer Wind. Plötzlich war es normal, »Fotze« und »schwul« als Beleidigung im Rap zu gebrauchen, und Weißbrote nannten sich »Nigger«“.[1] Sexismus, Homophobie und auch in Bezug auf Rassismen ein mehr als unbedarfter Sprachgebrauch gehörten hier nicht nur zum Standardprogramm, sondern setzten eine Abwärtsspirale in Gang, deren vorläufigen Endpunkt Kollegah und Farid Bang markieren.

Für die aktuelle Dominanz von Straßenrap in Deutschland ist diese Entwicklung kaum zu unterschätzen und sorgte für viele neue Fans, die zuvor nichts mit Hip-Hop­Kultur am Hut hatten: „Und weil der unbeschwerte Sexismus schon für so viele neue Fans gesorgt hatte und Selbstreflexion ein Fremdwort ist, basteln sich seither immer mehr Rapper ein Image aus Drogen, Hypermaskulinismus und teuren Autos“[2]. Der „neo-männliche HipHop-Mann“[3] ist ein regressives Produkt der Popkultur der letzten Jahre. „Sie hat längst erledigte Männerbilder mit neuem Glanz und neuer Handlungsfähigkeit ausgestattet. Sie ist aber auch multikulturell – wenn man so will: proletarisch – global, auch wenn sie dafür oft antiquierte bzw. neo-traditionelle Werte und religiöse Orientierungen aufbringt“.[4] Hier rappte auf jeden Fall nicht mehr (nur) die Mittelschicht.

Im deutschsprachigen Straßenrap der 90er lassen sich neben gesellschaftskritischen Zeilen schon Sexismus und Homophobie ausmachen. Aber die grundsätzliche Ausrichtung der Texte und die heute viel wichtigeren Bilder und Selbstinszenierungen haben sich radikal geändert. So zeugen die Texte laut Ernsing[5] nicht nur von einer „Auflösung gesellschaftlicher Solidarität“[6], sondern propagieren Selbstoptimierung und Egoismus.

Das Spiel der Provokation aus dem Battle-Rap ist zum kommerziell erfolgreichen Selbstzweck geworden, und der vorgespielte, erträumte oder tatsächliche Reichtum wird als erstrebenswertes Ziel ausgegeben. Mit „Signifying“, „dem bewussten Spiel mit der Sprache“[7], bei dem zwischen eigentlicher und gegenteiliger Bedeutung gewechselt wird, hat dies kaum noch zu tun. Ein Bezug auf die Old School wird eher belächelt oder verachtet. Fler beispielsweise gibt nicht mit seiner tatsächlich vorhandenen Graffiti-Vergangenheit an, sondern mit kriminellen Machenschaften und dem kommerziellen Erfolg seiner Musik.

2008 nennt der Berliner Rapper ein Album Fremd im eigenen Land. Darauf finden sich die Zeilen: „Ich bin deutsch, bin drauf stolz / Leute sagen, Fler is' proll / Leute sagen, ich bin Nazi / Mir egal, sagt, was ihr wollt / Hauptsache der Rubel rollt, ich im Benz und du im Golf / Adler auf der Motorhaube, Ledersitze Schwarz Rot Gold“.[8] Nationalistische Töne finden sich Mitte der 2000er auch bei MCs des Booms der späten 1990er-Jahre, mitunter sogar bei ehemaligen Mitgliedern der antirassistischen Allstar-Gruppe Brothers Keepers.

Gleichzeitig bietet die Popularität des Straßenrap mit der Omnipräsenz migrantischer Akteurinnen und Akteure eine Identifikationsmöglichkeit für marginalisierte Jugendliche. Geschichten aus Plattenbausiedlungen, Ärger mit der Polizei und Kleinkriminalität sprechen eine andere Klientel an als die „Mittelstandsrealness“ der Hamburger Hip-Hop-Szene.[9] Den Gesetzesbruch als Rebellion zu feiern, erfreut sich wachsender Beliebtheit. Doch ist es noch in keiner Weise emanzipatorisch, wenn sich Kriminelle der Form des Rap bedienen [...]. „Hinter dem drohenden Unterton, der noch in jedem Dope-Beat und auch in der Sprechweise des HipHop steckt, steht nämlich allzu häufig ein Haben-Wollen, dem jede Kritik kapitalistischer Reproduktion fremd ist. [...] Weil jedoch diese affirmative Perspektive der meisten Rapper in oft sehr drastische, wütende, ironische, kritische Beschreibungen des rassistischen Ist-Zustandes eingewoben ist, lässt sie sich leicht übersehen“.[10] Auch Stimmen aus der Black Community in den USA betonten, „dass der »Gangster« nur die weiße Fiktion des schießwütigen, selbstzerstörerischen, auf immer und ewig fremdbestimmten Schwarzen repräsentiert – und an dieser Fiktion verdiene wiederum eine Plattenindustrie, die mehrheitlich durch Weiße kontrolliert wird“.[11] Ähnliches ließe sich auch über den migrantisch geprägten Straßenrap hierzulande behaupten. „Eine untergeordnete Klasse lebt ihre Unterordnung“.[12] Die notwendige Kritik an Sexismus, Gewaltverherrlichung und dem zur Schau gestellten Konsumismus geht indes nicht selten einher mit einer Arroganz der Mehrheitsdeutschen, die nicht verstehen können, was es für marginalisierte Jugendliche bedeutet, wenn es Leute wie sie zum Rap-Star schaffen.

Es ist falsch, immer nach einem richtigen, kämpferischen Bewusstsein zu suchen. Es kommt darauf an, wie und unter welchen Bedingungen eine Klasse das zur Verfügung stehende kulturelle Rohmaterial verwendet, um Antworten zu formulieren.[13] Wenn ein Rapper wie Haftbefehl gebrochenes Deutsch, Hessisch und Straßenslang mit Kurdisch und anderen Sprachen vermischt, sind Sprachwissenschaftler überrascht und Jugendliche in Offenbach begeistert. In Bezug auf Rap in den USA, schreibt Karrer, sind „diese Sprachstrategien [...] gegen die dominante Kultur, wie sie den Ghettoeinwohnern in Schule, Medien und am Arbeitsplatz entgegentritt, gerichtet“[14].

Der aktuelle Straßenrap zeigt, dass „alle aufgeklärten Grundwerte, deren Erwähnung [...] aufgrund ihrer Selbstverständlichkeit obsolet erschienen“[15], im Laufe der Zeit nicht weitervermittelt wurden. Das hat nur marginal mit der Abwendung von globaler Hip-Hop-Kultur als internationaler Gemeinschaft und der Einheit von Graffiti, Breakdance, Rap und DJing zu tun. Vielmehr gibt der Straßenrap auch Auskunft über einen Zustand der Gesellschaft, in der sich mit Sexismus, Homophobie und demonstrativem Konsum kommerzielle Erfolge erzielen lassen. Die häufigen Verweise auf Kriminalität repräsentieren ferner die Situation migrantischer Milieus, die diese zur widerständigen Praxis verklären, weil der Rassismus der Mehrheitsgesellschaft ihnen Teilhabe ohnehin verweigert.

1. Meyer, Christian: Platte des Monats. Beginner: Advanced Chemistry, in: Konkret 9/2016, S. 61.

2. Ebd.

3. Diederichsen, Diedrich: Über Pop-Musik, Köln 2014, S. 452.

4. Diederichsen, Diedrich: Über Pop-Musik, Köln 2014.

5. Ernsing, Tobias: Ich kann schlafen, wenn ich tot bin – work hard, stack checks. Neoliberalismus im populären deutschsprachigen Gangsta-Rap, Münster 2017.

6.  Ernsing, Tobias: Ich kann schlafen, wenn ich tot bin – work hard, stack checks. Neoliberalismus im populären deutschsprachigen Gangsta-Rap, Münster 2017, S. 57.

7. Karrer, Wolfgang: Rap als Jugendkultur zwischen Widerstand und Kommerzialisierung, in: Gulliver, 38, 1995, S. 28.

8. Fler: Deutscha Bad Boy, Album: Deutscha Bad Boy, Sony/ATV Music Publishing LLC, Universal Music Publishing Group.

9. Meyer, Christian: Platte des Monats. Beginner: Advanced Chemistry, in: Konkret 9/2016, S. 61.

10. Jacob 2013, 223.

11. Gurk, Christoph: Songs of a dead dream. Black Culture, Black Politics, in: Dax, Max u. Anne Waak (Hg.), Das Spex-Buch. 33 1/3 Jahre Pop, Berlin 1996, S. 264.

12. Clarke, John u. a.: Subcultures, Cultures and Class: A theoretical overview, in: Hall, Stuart u. Tony Jefferson (Hg.), Resistance through Rituals. Youth subcultures in post-war Britain, London u. a. 1976, S. 39.

13.  Clarke, John u. a.: Subcultures, Cultures and Class: A theoretical overview, in: Hall, Stuart u. Tony Jefferson (Hg.), Resistance through Rituals. Youth subcultures in post-war Britain, London u. a. 1976, S. 45.

14. Karrer, Wolfgang: Rap als Jugendkultur zwischen Widerstand und Kommerzialisierung, in: Gulliver, 38, 1995, S. 26.

15. Diederichsen, Diedrich: Sexbeat (1985), Köln 2002, S. 143.

Medienbeispiele:

Fler: Ich bin Deutscha, Album: Fremd im eigenen Land, Aggro Berlin/Sony/ATV Music Publishing LLC/Universal Music Publishing Group, https://youtu.be/j-WL5qARy1k (abgerufen am 13.08.2020).

Haftbefehl ft. Manuellsen & Massiv: Dann mit der Pumpgun, Album: Azzlack Stereotyp, Universal Music Publishing Gmbh, https://youtu.be/81QOuVKBPWk (abgerufen am 13.08.2020).

Autor

Christian Meyer ist u. a. als Redakteur bei Das Argument – Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften tätig.