Jugendmedienschutz im gesellschaftlichen Wandel
Medienradar, 10/2020
Traditionell standen lange Zeit Aspekte des Bewahrens „bestehender Normen und Werte bei der Erziehung“ und Beschützens „vor möglichen schädlichen Einflüssen“[1] im Fokus des Jugendmedienschutzes. Kinder und Jugendliche galten als passive, leicht zu beeinflussende Rezipierende. In einem Streifzug durch mehrere Jahrzehnte deutscher Medien-Indizierungsgeschichte der Bundesprüfstelle haben der Kommunikations- und Medienwissenschaftler Daniel Hajok und der Medienpädagoge Daniel Hildebrandt die Veränderungen des Jugendmedienschutzes in Deutschland auf anschauliche Weise nachvollzogen. Hieraus lässt sich eine „veränderte Sicht der Jugendschützerinnen und Jugendschützer erkennen, die der Jugend zu Beginn aus einer normativ-reglementierenden Haltung heraus enge Grenzen setzte, bevor differenzierter und in vielen Punkten liberaler auf Heranwachsende geschaut wurde“[1]. Deshalb sollte heute neben der Frage „Was machen die Medien mit Kindern und Jugendlichen?“ auch die Frage „Was machen Kinder und Jugendliche mit den Medien?“ im Zentrum des Interesses stehen.
Neue Entwicklungen – Neue Herausforderungen
Die Zeiten, in denen Jugendmedienschutz allein mit Ausweiskontrollen an der Kinokasse und Sendezeitfreigaben bei den deutschen Privatsendern realisiert werden konnte, sind längst vorbei. Je mehr der Medienmarkt gewachsen ist, desto komplexer ist auch das System des Jugendmedienschutzes mit all seinen Institutionen geworden. Die feingliedrige Segmentierung nach Mediensparten und Vertriebswegen ist für viele nur noch begrenzt verständlich und nachvollziehbar. Zudem, so konstatiert es auch Claudia Mikat, Geschäftsführerin der FSF, kommt das Jugendmedienschutzsystem angesichts zunehmender Verschmelzung verschiedener Medien- und Kommunikationskanäle auf der technischen und inhaltlichen Ebene sowie der Nutzungsebene (Medienkonvergenz) an seine Grenzen[2].
Globalisierte Medienmärkte und die damit einhergehende Zunahme „grenzüberschreitender Distributions- und Kommunikationsplattformen“ stellt Jugendschützer*innen vor neue Herausforderungen[3]. Das massenhafte Onlineangebot, zunehmend erweitert durch nutzer*innengenerierte Inhalte, verbreitet sich in internationalen Netzwerken. Diese fallen nicht unter den Geltungsbereich der nationalen Gesetzgebung und verhindern oder erschweren damit bisherige Formen der Zugangsbeschränkung. Dennoch zeigen sich auch internationale Anbietende kooperativ und versuchen verstärkt, mit technischen Sicherheitsvorkehrungen den jugendschutzrelevanten Standards in Deutschland gerecht zu werden. Eine Übersicht zu den verschiedenen Jugendschutzvorkehrungen beliebter Dienste wie Netflix, Amazon und Co. kann hier eingesehen werden:
Die Jugendschutzbereiche der verschiedenen Streamingdienste sind auf den jeweiligen Seiten einzusehen. Amazon Prime Video verfügt über Informationen zur Kindersicherung und einer Anleitung zur Einrichtung der Kindersicherung. Joyn informiert hier zum Jugendschutz. Auch Netflix stellt eine Anleitung zur Einrichtung der Kindersicherung und eine Erläuterung der Alterseinstufung bereit. Informationen zum Jugendschutz bei Sky findet sich bei Sky allgemein und Sky TICKET.
„Konvergente Medienwelten“ bieten Heranwachsenden nicht nur eine Fülle an Inhalten, sondern ermöglichen ihnen eine zunehmend aktive und autonome Mediennutzung[4]. Das Bild des passiv rezipierenden Heranwachsenden ist längst überholt. Kinder und Jugendliche bringen sich in den medialen Diskurs mit ein, partizipieren. Dies geht mit Chancen, aber auch mit neuen Risiken einher. So haben es Jugendschützer*innen im Internet schon seit einigen Jahren mit (neuen) Phänomenen wie Cybermobbing, Hate Speech oder sogenannten „Challenges“ zu tun. Mehr dazu auch in der Playlist „Gefahren im Netz“.
Vor diesem Hintergrund kommt dem „präventivem Jugendmedienschutz“ als gesamtgesellschaftliche Aufgabe eine immer zentralere Rolle zu. Hierbei geht es um die Förderung der individuellen Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen. Die jungen Nutzenden sind hier ebenso gefragt wie Eltern, Pädagog*innen, gesellschaftliche Institutionen und Anbieter*innen. Das Lehrangebot des Medienradars soll bei der Stärkung von Medienkompetenz helfen. Zahlreiche Institutionen haben außerdem Informationen und Materialien bereitgestellt, um Erwachsene, Lehrende und Multiplikator*innen in der Medienpädagogik zu unterstützen. Eine exemplarische Auswahl dieser Anbieter*innen soll die Recherche erleichtern und einen kleinen Einblick geben.
Informationen und Hinweise zur sicheren Mediennutzung für Erwachsene, Lehrende & Multiplikator*innen:
- Klicksafe
- SCHAU HIN!
- Gutes Aufwachsen mit Medien
- Jugendschutz.net
- Surfen ohne Risiko
- Internet ABC
- Media Smart
- NEWS4TEACHERS
- Datenschutz.org – Bereich Schule
- Medienführerschein Bayern
Projekte und Unterrichtsmaterialien für die schulische Medienbildung:
- Erlebe IT – Schulinitiative des Bitkom
- FaMe – Ein multimediales Lernangebot
- Junge Tüftler – Programmierprojekt
- Klicksafe – Materialien
- Lehrer-Online (teilweise kostenpflichtig)
- Medien in die Schule – Unterrichtsmaterialreihe
- Medienscouts – Schulprogramm von jugendschutz.net
- No Blame Approach – Anti-Mobbing Initiative
- ZUM Unterrichten – Plattform für Unterrichtsmaterialien
- weitklick – Netzwerk für digitale Medien- und Meinungsbildung
Apps und Anwendungen:
1. Hajok, Daniel, Hildebrandt, Daniel: Das veränderte Bild von Jugend im Jugendmedienschutz. Ein Streifzug durch 64 Jahre Indizierung von Medien, in: tv diskurs, Ausgabe 85, 3/2018, S. 68-73 (Zitat S. 69).
2. Mikat, Claudia: Jugendschutz im Fernsehen. Stand und Perspektiven nach 25 Jahren FSF, in: tv diskurs, Ausgabe 88, 2/2019, S. 51-54.
3. Dreyer, S., Hasebrink, U., Lampert, C. & Schröder, H.-D. (2013): Herausforderungen für den Jugendmedienschutz durch digitale Medienumgebungen. Soziale Sicherheit (CHSS), (4), S. 195-199 (Zitat S. 198).
4. Hajok, Daniel: Veränderte Medienwelten von Kindern und Jugendlichen. Neue Herausforderungen für den Kinder- und Jugendmedienschutz, in: BPjM-Aktuell 3/2014, S. 3-17 (Zitat S. 12).
Dr. Uwe Breitenborn ist Publizist und Autor mit den Schwerpunkten Mediengeschichte, Musiksoziologie, Sozial- und Kulturwissenschaft. Zudem ist er Dozent und Bildungsreferent bei der Medienwerkstatt Potsdam sowie als hauptamtlicher Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) tätig.
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Barbara Weinert arbeitete bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen als Redakteurin für die Zeitschrift tv diskurs. Derzeit ist sie an der Universität Passau in der Abteilung Kommunikation und Marketing tätig.
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