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Altersfreigaben und Wirkungsrisiken

Nach welchen Kriterien werden Medieninhalte geprüft?

Uwe Breitenborn, Barbara Weinert

Medienradar, 09/2020

Altersfreigaben bieten im Jugendmedienschutz eine Orientierung für Eltern und Erziehende, aber auch für Kinder und Jugendliche. Über die verschiedenen Alterseinstufungen, die Risikodimensionen zur Bewertung von Medieninhalten und die Grenzziehung zwischen erotischen und pornografischen Angeboten informiert der folgende Artikel.

Die Altersfreigaben für Kinovorführungen und materielle Trägermedien wie Filme und Computerspiele auf DVD oder CD sind im Jugendschutzgesetz (§ 14 JuSchG) festgeschrieben, für Rundfunk und Telemedien (Internet) im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (§ 5 JMStV).

Die Altersstufen sind:

  • ohne Altersbeschränkung
  • ab 6 Jahren
  • ab 12 Jahren
  • ab 16 Jahren
  • keine Jugendfreigabe (also ab 18 Jahren)

Achtung: Bei diesen Kennzeichen handelt es sich nicht um Altersempfehlungen, sondern um die Einschätzung möglicher Wirkungsrisiken (siehe Risikodimensionen).

Die Altersfreigaben können aufgrund ihrer Bekanntheit und weitgehenden Akzeptanz als „allgemeine Währung“ gelten und bieten Eltern und anderen Erziehenden eine einheitliche Orientierung im Jugendmedienschutz.

Im Fernsehbereich wird der Jugendschutz – in Verbindung mit den Altersstufen – über die Sendezeit geregelt.

Anbieter*innen können Internetseiten mit entsprechenden Altersstufen kennzeichnen (z. B. über altersklassifizierung.de). Diese können von Jugendschutzprogrammen bzw. Filtersoftwares ausgelesen werden, wobei entwicklungsbeeinträchtigende Angebote (siehe Abschnitt „Risikodimensionen“) herausgefiltert werden. Kinder und Jugendliche kommen so nicht in Kontakt mit Inhalten, die sie in ihrer Entwicklung oder Erziehung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten beeinträchtigen können.

Die technischen Sicherheitsvorkehrungen setzen jedoch voraus, dass von Anbieterseite eine entsprechende Alters-Labelung realisiert wird und Eltern oder Erziehungsberechtigte ein entsprechendes Jugendprogramm auf den Geräten ihrer Kinder vorinstallieren.

Unzulässige Angebote

Darüber hinaus gibt es die sogenannten „Unzulässigen Angebote“, die weder im Fernsehen noch im Internet (Telemedien) ausgestrahlt werden dürfen. Zu diesen Angeboten zählen beispielsweise Propagandamittel verfassungswidriger Organisationen und ihre Kennzeichen, Volksverhetzung und Holocaustleugnung, Verherrlichung und Verharmlosung von Gewalttaten, Anleitung zu Straftaten, sogenannte harte Pornografie (Kinder-, Gewalt- oder Tierpornografie) sowie Angebote, die den Krieg verherrlichen, gegen die Menschenwürde verstoßen oder Kinder und Jugendliche in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung darstellen. Die Regelungen hierzu finden sich im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV).

„Relativ unzulässige Angebote“ sind hingegen solche, deren Verbreitung im Fernsehen unzulässig, in Telemedien dagegen erlaubt ist, sofern sichergestellt ist, dass nur Erwachsene Zugang zu diesen Angeboten haben. Dies sind pornografische und indizierte Inhalte sowie Angebote, die offensichtlich geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten schwer zu gefährden.

Pornografie vs. Erotik

Die Ausstrahlung von pornografischen Programmen ist im Fernsehen verboten. Der JMStV selbst definiert allerdings nicht, was unter Pornografie zu verstehen ist, weil davon auszugehen ist, dass aufgrund des gesellschaftlichen Wertewandels eine Definition immer wieder angepasst werden müsste.

Oft wird auch unter Fachleuten über die Grenze zwischen erlaubten Erotikfilmen und verbotenen pornografischen Filmen gestritten. Die Kontrollbehörden gehen heute noch von einem Pornografiebegriff aus, den der Bundesgerichtshof 1969 in seinem berühmten Urteil zu dem Roman Die Memoiren der Fanny Hill geprägt hat.

Die wesentlichen Elemente eines pornografischen Angebots sind die folgenden: Es stellt sexuelle Vorgänge in aufdringlicher und anreißerischer Weise dar. Zudem isoliert es physische Sexualität von personalen Beziehungen, verabsolutiert sexuellen Lustgewinn, degradiert Menschen zu auswechselbaren Objekten der Triebbefriedigung und lässt sie als bloße Reiz-Reaktionswesen erscheinen. Erforderlich ist ferner, dass diese Einstellung zu Sexualität nicht nur in einzelnen Szenen des Angebots zum Ausdruck kommt, sondern dass das Pornografische ihre Gesamttendenz ausmacht, ihre Botschaft.

In Erotikfilmen sind zwar sexuell agierende Körper zu sehen, der Geschlechtsverkehr wird aber nicht im Detail abgebildet. Die Sprache ist in Erotikfilmen weniger aufdringlich, auf der Handlungsebene wird zumindest eine persönliche Beziehung der Personen angedeutet, sodass diese zum Zwecke der sexuellen Befriedigung nicht völlig austauschbar sind.

Risikodimensionen

Die drei Risikodimensionen „Gewaltbefürwortung und -förderung“, „Übermäßige Angsterzeugung“ und „Sozialethische Desorientierung“ spielen bei der Bewertung von Film-, Fernseh-, Internet- und Computerspielinhalten unter Jugendschutzaspekten eine zentrale Rolle.

„Übermäßige Angsterzeugung“

Was Kinder ängstigt, deckt sich nicht immer mit dem, was Erwachsene als bedrohlich einschätzen. So erscheint etwa Kindern der Tod noch nicht als etwas Endgültiges und hat für sie im Film oft nicht dieselbe Bedeutung wie für erwachsene Zuschauer. Andere Inhalte können hingegen bestehende Ängste verstärken oder neue aufbauen. Vor allem bei einer Altersfreigabe ab 0 oder ab 6 Jahren liegt deshalb das Augenmerk stark auf der Frage, ob die Inhalte Kinder übermäßig ängstigen können. Ab 12-Jährige sind hingegen in der Lage, Filmkontexte zu verstehen und durch die z. B. im Happy End gegebene Überwindung der Gefahr zum Ende des Films ihre Ängste aufzulösen. In wenigen Fällen spielt die Risikodimension noch bei 16-Jährigen eine entscheidende Rolle. Wie die Formate für die jeweilige Altersgruppe unter der Risikodimension der übermäßigen Ängstigung einzuschätzen sind, zeigt die  Playlist „Was ist eigentlich ängstigend?“.

„Sozialethische Desorientierung“

Werden Werte vermittelt, die gegen unsere gesellschaftliche Grundordnung verstoßen, oder problematische Verhaltensvorbilder gezeigt, so kann dies sozialethisch desorientieren. Diese Risikodimension ist für alle Altersgruppen relevant. Während es Jüngeren schwer fällt, sich von medialen Inhalten zu distanzieren, so können ältere Kinder und Jugendliche von besonders kind- und jugendaffinen Inhalten beeinträchtigt werden. Werden zum Beispiel antisoziale Verhaltensweisen, Selbstgefährdung und -verletzung, Drogenkonsum einseitig positiv und als mit sozialem Statusgewinn verbunden dargestellt, so kann dies für eine Freigabe ab 16 oder – je nach Ausprägung – gar ab 18 Jahren sprechen. Mehr dazu findet sich in der Playlist zu dieser Risikodimension.

„Gewaltbefürwortung bzw. -förderung“

Wann können Gewaltdarstellungen eine befürwortende Haltung bei Kindern oder Jugendlichen bewirken? Wenn etwa Gewalt durch die Täterperspektive positiv dargestellt wird und eine gewaltkritische Gesamtaussage fehlt. Außerdem kann Gewalt in einer besonders ansprechenden Ästhetik inszeniert sein, die einfach schön anzusehen ist und damit Gewalt und seine Folgen möglicherweise verharmlost. Wie diese Wirkung argumentiert wird und welche Kriterien dabei eine Rolle spielen, wird in der Playlist „Gewaltbefürwortung und -förderung“ deutlich.

Claudia Mikat, FSF-Geschäftsführerin, kennt die Themen, die die Prüfer*innen aktuell im Fernsehbereich beschäftigen: „[...] sexualisierte Darstellungen und Gewalt sind immer noch Themen, die Erziehenden Sorgen bereiten und über die sie sich informieren möchten. Neue Risikobereiche sind hinzugekommen: Darstellungen von Alkohol- und Drogenmissbrauch, von antisozialem oder selbstschädigendem Verhalten, desensibilisierende oder verrohende Darstellungen, Aufforderungen zum Kauf, zu Mobbing oder Diskriminierung sowie die zunehmende Unschärfe zwischen Realität und Fiktion.“[1]

1. Mikat, Claudia: Jugendschutz im Fernsehen. Stand und Perspektiven nach 25 Jahren FSF, in: tv diskurs, Ausgabe 88, 2/2019, S. 51-54 (Zitat S. 53).

Autor

Dr. Uwe Breitenborn ist Publizist und Autor mit den Schwerpunkten Mediengeschichte, Musiksoziologie, Sozial- und Kulturwissenschaft. Zudem ist er Dozent und Bildungsreferent bei der Medienwerkstatt Potsdam sowie als hauptamtlicher Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) tätig.

[Bild: A. Breitenborn]
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Autorin

Barbara Weinert arbeitete bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen als Redakteurin für die Zeitschrift tv diskurs. Derzeit ist sie an der Universität Passau in der Abteilung Kommunikation und Marketing tätig.

[Bild: FSF]
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