Virtuelle Influencer*innen
Eine aktuelle Entwicklung in der Social-Media-Welt
In: mediendiskurs: 27. Jg., 3/2023 (Ausgabe 105)
Social-Media-Plattformen haben heute im Alltag vieler Menschen einen hohen Stellenwert. Insbesondere Jugendliche machen sich die neuen Möglichkeiten zu Information und Orientierung, Austausch und Vernetzung unbefangen zu eigen. Eine besondere Bedeutung haben dabei die Vorlagen der Influencer*innen, die, den aktuellen Entwicklungen entsprechend, zuweilen auch von virtuellen Vertreter*innen ausgesteuert werden – und eine spezifische Aneignung evozieren.
Social Media und Influencer*innen
Unter „Social Media“ werden vereinfacht all die Angebote im Netz verstanden, die dem öffentlichen kommunikativen Austausch und dem Teilen von Inhalten dienen. Dazu zählen vor allem Onlineplattformen wie Instagram oder TikTok. Auf diesen Plattformen können Nutzende eigene Accounts erstellen, Inhalte teilen und mit anderen Nutzenden in Interaktion treten. Eng mit dem Konzept von Social Media verbunden sind Influencer*innen. Mit einer großen Gemeinschaft von Menschen, die ihnen folgen, agieren sie häufig als virtuelle Meinungsführer*innen und Werbeträger*innen: Sie nutzen Social Media nicht nur, um Inhalte mit ihren Follower*innen zu teilen und mit diesen zu interagieren, sondern auch, um Produkte oder Dienstleistungen zu bewerben (Veirman u. a. 2017).
Influencer*innen können dabei in verschiedenen Bereichen agieren – von Mode über Fitness bis hin zu Lifestyle. Ihre Bekanntheit und ihre große Reichweite stärken sie vorrangig über Eigenschaften wie Glaubwürdigkeit, Authentizität, Vertrauen und Ausstrahlung (Roloff 2023). Vor allem die Vertrauenskomponente beeinflusst die Wahrnehmung von Influencer*innen durch ihre Follower*innen (Kim u. a. 2022). Sie prägt auch die Frage, inwieweit die Follower*innen eine parasoziale Beziehung mit den Influencer*innen eingehen und sie als Bezugsperson und Vorbild wahrnehmen. Zwar ist diese Beziehung im Kern einseitig von den Follower*innen initiiert (Roloff 2023), jedoch entwickeln diese das Gefühl der Teilnahme an einer wechselseitigen Kommunikation mit Influencer*innen (Hartmann 2016).
Bedeutung von Influencer*innen für Jugendliche
Vor allem Jugendliche verbringen viel Zeit auf Social Media – TikTok ist zu Beginn und Instagram zum Ende des Jugendalters die Nummer eins (Rohleder 2022). Hier begegnen sie vielfach Influencer*innen, welche einen bedeutenden Einfluss auf ihren Alltag und das jugendliche Ich im Allgemeinen haben. Eine aktuelle qualitative Studie mit insgesamt 260 online Befragten und 82 ausgewählten Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren, von denen sieben noch vertieft interviewt wurden, bestätigt die große Bedeutung, die Influencer*innen als Vorbilder für Heranwachsende haben. Neben der Bewunderung und Verehrung im weiteren Sinne zeigen sich die Jugendlichen allerdings auch kritisch hinsichtlich der Vertrauenswürdigkeit von Influencer*innen und begründen dies mit Unwahrheiten und einer möglichen Manipulation (Roloff 2023).
Die Zuwendung zu den Influencer*innen und in deren Social-Media-Kanälen ausgebreiteten Themen ermöglicht den Follower*innen auch, an der Kommunikation innerhalb der Peergroup teilhaben zu können. Darüber wird ein Gefühl von Gruppenzugehörigkeit geschaffen, das vor allem für jüngere Jugendliche von Relevanz ist. Auch wenn ein Teil der Befragten den Influencer*innen nicht direkt eine Vorbildfunktion für sich zuschreibt, erkennen sie – ganz im Sinne des Third-Person-Effekts – deren Potenzial als wichtige Identifikationsfiguren für andere an. Sie selbst wenden sich den Influencer*innen nicht zuletzt zu, um zumindest partiell dem eigenen (belasteten) Alltag zu entfliehen.
Ein wichtiger Aspekt der Zuwendung – auch das zeigt die Studie – ist, dass Influencer*innen Themen anbringen, die Jugendliche interessieren. Sie bieten den Befragten Inspiration und Orientierung in Bezug auf ihre individuellen Interessengebiete; Produktempfehlungen, Reiseziele, Berufsmöglichkeiten oder Freizeitbeschäftigungen sind Inhalte, die die Influencer*innen bevorzugt über das Vloggen (Mitfilmen) des Alltags nicht zuletzt für ihre Follower*innen veröffentlichen (ebd.).
In aller Regel reflektieren Jugendliche die von den Influencer*innen präsentierten Inhalte kritisch und sind sich deren Einfluss größtenteils bewusst. Im Rahmen der Studie brachten sie sogar ethische Fragen an, die sich zumeist auf die Präsentation von Werbung und die Transparenz im Umgang mit Makeln sowie auf das Anbringen unrealistischer Schönheitsideale bezogen, wie es im Hinblick auf die negativen Zusammenhänge mit der psychischen Gesundheit auch im wissenschaftlichen Diskurs kritisch gesehen wird (Hajok u. a. 2022). Dennoch verdeutlichen die befragten Jugendlichen, dass Influencer*innen einen Einfluss auf ihr Leben haben und für sie sowohl zur Unterhaltung als auch für die Entwicklung der eigenen Identität Relevanz besitzen (Roloff 2023).
Das Phänomen der virtuellen Influencer*innen
Ein relativ neues Phänomen sind virtuelle Influencer*innen. Erstmalig tauchten sie 2018 auf Instagram auf und finden seitdem immer mehr Beachtung, mit Miquela (@lilmiquela) als einer der bekanntesten Vertreter*innen. Innerhalb der wissenschaftlichen Literatur lässt sich (noch) keine einheitliche Definition dieses Phänomens finden. Es kann allerdings festgehalten werden, dass es sich dabei um computergenerierte Charaktere handelt, die auf den Plattformen wie menschliche Influencer*innen agieren. Sie sind keine realen Menschen, sondern werden oftmals von Unternehmen kreiert. Diese schreiben ihnen eine individuelle Rolle mit einer eigenen Persönlichkeit sowie einem spezifischen Hintergrund zu (Hofeditz u. a. 2022; Stein u. a. 2022).
Rund um die computergenerierten Charaktere, die nur in der Social-Media-Welt existieren, werden Inhalte in Form von Fotos und Videos generiert. Teilweise wird sich künstlicher Intelligenz (KI) bedient, wobei noch unklar ist, wie weit dies fortgeschritten ist. Die Social-Media-Profile virtueller Influencer*innen ziehen dennoch zahlreiche Follower*innen an und haben das Potenzial, das Verhalten und den Lebensstil dieser zu beeinflussen (Casarotto 2021).
Das Erscheinungsbild virtueller Influencer*innen wirkt menschenähnlich, vor allem in Bezug auf ihre Bewegungen, Mimik und Interaktionen, jedoch stark perfektioniert (Roloff 2023). Es kann von einem hohen Grad an Anthropomorphismus gesprochen werden (Hofeditz u. a. 2022). Wie auch menschliche Influencer*innen sind virtuelle Influencer*innen Ausdruck von Kooperationen mit Marken und Unternehmen. Für diese präsentieren sie Werbung und platzieren Produkte auf Social Media. Ursprünglich wurden sie (im Marketing) zu dem Zweck entwickelt, das Risiko für das öffentliche Image eines Unternehmens zu minimieren, da sie als vorhersehbarer eingeschätzt werden (Roloff 2023).
Zurzeit werden virtuelle Influencer*innen noch kontrovers diskutiert: Auf der einen Seite steht die Faszination gegenüber dem neuen Phänomen. Auf der anderen Seite kommen (ethische) Bedenken hinsichtlich eines Verwischens der Grenze zwischen dem Nichtmenschlichen und Menschlichen sowie der Präsentation eines unerreichbaren Schönheitsideals (Batista da Silva Oliveira/Chimenti 2021) zum Tragen. Zudem werden die fehlende Transparenz und Authentizität moniert (Robinson 2020). Trotzdem gelten virtuelle Influencer*innen als ein aufstrebendes Phänomen, das sich in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit weiterentwickeln wird.
Spezifische Wahrnehmung durch Jugendliche
Die Wahrnehmung von virtuellen Influencer*innen wird u. a. vom Uncanny-Valley-Effekt (Mori 2012) beeinflusst. Werden sie als zu stark menschenähnlich wahrgenommen, können Misstrauen und ein Gefühl von Unheimlichkeit bei den Rezipierenden aufkommen (Nowak/Fox 2018). Wurden mögliche Effekte bislang vorrangig in Marketingstudien erforscht, hat sich die oben bereits erwähnte aktuelle qualitative Studie in den Interviews mit Jugendlichen der spezifischen Wahrnehmung angenommen (Roloff 2023). Angelehnt an das Vorgehen einer anderen Studie (Hofeditz u. a. 2022) wurden vier Bilder (je zwei) in schwarz-weißer Farbe gezeigt, wobei jeweils eine virtuelle und eine menschliche Influencerin mit Ähnlichkeit in Aussehen, Posing, Bildausschnitt gegenübergestellt waren (siehe Abb. 1 – 4). Um die Aneignung unvoreingenommen zu erfassen, wurden die Jugendlichen nicht im Vorhinein, sondern erst nach einer ersten Auseinandersetzung mit den Darstellungen auf das Phänomen virtueller Influencer*innen aufmerksam gemacht (Roloff 2023).
Es zeigt sich, dass die Aneignung von virtuellen Influencer*innen durch Jugendliche variiert und von ganz verschiedenen Faktoren abhängt. Zu nennen ist etwa der Grad an Faszination gegenüber diesem Phänomen: Auf der einen Seite begeistert das menschenähnliche Erscheinungsbild der virtuellen Influencer*innen die Jugendlichen, sie sind fasziniert von deren neuartiger und technischer Entwicklung. Dabei fällt es jedoch jüngeren Personen schwerer, eine Vorstellung von virtuellen Influencer*innen zu entwickeln. Auf der anderen Seite begegnen die Jugendlichen den virtuellen Influencer*innen mit Ablehnung und einem Gefühl der Unheimlichkeit – es wird auch von Täuschung gesprochen.
Weiterhin ist die Vorbildfunktion zu nennen: Jugendliche suchen im Laufe ihrer Entwicklung nach Personen, an denen sie sich orientieren können. Im Gegensatz zu menschlichen Influencer*innen können virtuelle Influencer*innen aus der jugendlichen Perspektive allerdings nicht als Vorbilder agieren, vor allem aufgrund von fehlenden Erfahrungen. Dies kann durch die fehlende Authentizität, die Jugendliche in der direkten Konfrontation mit dem Phänomen wahrnehmen, beeinflusst sein. Daraus leitet sich ebenfalls eine Einschätzung als „weniger vertrauenswürdig“ ab.
Ein weiterer Faktor ist der Unterhaltungsaspekt. Die Jugendlichen geben teilweise an, dass – wenn die virtuellen Influencer*innen Themen behandeln, die sie interessieren – sie ihnen auch Aufmerksamkeit schenken würden. Der Unterhaltungswert kann sie nach eigener Aussage dazu bringen, den virtuellen Influencer*innen zu folgen und deren Inhalte zu rezipieren. Jedoch äußern die Jugendlichen auch Bedenken hinsichtlich des kommerziellen Hintergrundes und der Trennung zwischen Fiktion und Realität. Besonders ältere Jugendliche zeigen sich besorgt im Hinblick auf die Vermittlung unerreichbarer Schönheitsideale (ebd.).
Fazit
Das vergleichsweise neue Phänomen virtueller Influencer*innen wird im Zuge computergenerierter und KI-basierter Inhalte in Social Media vermutlich an Bedeutung gewinnen. Die Aneignung der virtuellen Charaktere ist in der Gruppe der Jugendlichen, die als wichtige Adressat*innen gelten, unterschiedlich. Sie wird durch Alter, eigene Persönlichkeit, Interessen, Erfahrungen und Werte bedingt. In aller Regel werden virtuelle Influencer*innen als menschenähnlich wahrgenommen, wobei die Jugendlichen nicht nur Faszination empfinden, sondern auch eine gewisse Unheimlichkeit (Uncanny Valley). Besonderen Wert legen die Heranwachsenden auf das Machen eigener Erfahrungen – und gerade damit können virtuelle Influencer*innen nicht dienen. Kritische Aspekte wie idealisierte Schönheitsideale oder das Verschwimmen der Grenze zwischen Fiktion und Realität nehmen vor allem die älteren (und social-media-erfahrenen) Jugendlichen in den Blick. Im Kontext der immer früheren Zugänge junger Menschen zu Angeboten im Internet gilt es, diese Entwicklungen im Auge zu behalten.
Literatur:
Batista da Silva Oliveira, A./Chimenti, P.: „Humanized Robots“: A Proposition of Categories to Understand Virtual Influencers. In: Australasian Journal of Information Systems, 2021/25. Abrufbar unter: https://doi.org/10.3127/ajis.v25i0.3223
Casarotto, C.: What is the Role of AI Influencers in Digital Marketing Strategy?< In: Rockcontent, 20.12.2021. Abrufbar unter: https://rockcontent.com
Hajok, D./Kniazev, N./Le, T. H. N./Lindner, S.: Social Media als Katalysator oder Ausweg aus der Krise? Einflüsse von Instagram auf die psychische Gesundheit Jugendlicher. In: JMS-Report, 2/2022/45, S. 2 – 6. Abrufbar unter: https://www.nomos-elibrary.de
Hartmann, T.: Mass Communication and Para-Social Interaction: Observations on Intimacy at a Distance (von Donald Horton und R. Richard Wohl [1956]). In: M. Potthoff (Hrsg.): Schlüsselwerke der Medienwirkungsforschung. Wiesbaden 2016, S. 75 – 84
Hofeditz, L./Nissen, A./Schütte, R./Mirbabaie, M.: Trust Me, I’m an Influencer! – A Comparison of Perceived Trust in Human and Virtual Influencers. In: ECIS 2022 Research-in-Progress Papers. Kristiansand 2022. Abrufbar unter: https://aisel.aisnet.org
Kim, D./Park, H./Pak, J.: Are You a Robot? Consumer Perception of Highly Human-like Virtual Influencers. In: The 22st International Conference on Electronic Business, Bangkok, Thailand, 13. – 17.10.2022. Abrufbar unter: https://iceb2022.johogo.com
Mori, M.: The Uncanny Valley: The Original Essay by Masahiro Mori. In: IEEE Spectrum, 12.06.2012. Abrufbar unter: https://spectrum.ieee.org
Nowak, K. L./Fox, J.: Avatars and Computer-Mediated Communication: A Review of the Definitions, Uses, and Effects of Digital Representations. In: Review of Communication Research, 2018/6, S. 30 – 53. Abrufbar unter: https://doi.org/10.12840/issn.2255-4165.2018.06.01.015
Robinson, B.: Towards an Ontology and Ethics of Virtual Influencers. In: Australasian Journal of Information Systems, 2020/24. Abrufbar unter: https://doi.org/10.3127/ajis.v24i0.2807
Rohleder, B.: Kinder- & Jugendstudie 2022. Berlin 2022. Abrufbar unter: https://www.bitkom.org
Roloff, P.: Die Aneignung von virtuellen Influencer*innen auf Instagram durch Jugendliche. Masterarbeit im Masterstudiengang Kinder- und Jugendmedien. Universität Erfurt 2023
Stein, J.‑P./Breves, P. L./Anders, N.: Parasocial interactions with real and virtual influencers: The role of perceived similarity and human-likeness. In: New Media & Society, 2022/2. Abrufbar unter: https://doi.org/10.1177/14614448221102900
Veirman, M. de/Cauberghe, V./Hudders, L.: Marketing through Instagram influencers: the impact of number of followers and product divergence on brand attitude. In: International Journal of Advertising, 5/2017/36, S. 798 – 828. Abrufbar unter: https://doi.org/10.1080/02650487.2017.1348035
Paulina Roloff ist Absolventin des Masterstudiengangs Kinder- und Jugendmedien (M.A.) an der Universität Erfurt. Sie ist im Bereich der Medienpädagogik tätig, beschäftigt sich mit verschiedenen Medienthemen und arbeitet vor allem mit pädagogischen Fachkräften.
Dr. Daniel Hajok ist Honorarprofessor am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt und Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien (AKJM) in Berlin.
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