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Zwischen Beleidigungskultur und „Silencing“

Folgen des Online-Hasses für Betroffene

Lena Wandner

Medienradar, 10/2020

Die Ergebnisse einer Forsa-Befragung zur Wahrnehmung von Hassrede im Netz (2020) zeigen, dass ein Großteil der Internetnutzer*innen Hassrede im Netz schon einmal begegnet ist.[1] Besonders Jüngere unter 25 Jahren stoßen im Internet immer wieder auf Hasskommentare. Doch welche Folgen zieht dies nach sich? Was macht der Online-Hass mit Betroffenen und „Mitlesenden“? Welche persönlichen Einschränkungen gehen mit der zunehmenden Verbreitung von Hatespeech einher? Einige Studien haben diese Aspekte genauer betrachtet.

Das Internet als „Beleidigungskultur“

Das Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) hat im Rahmen der Studie Euphorie war gestern – Die „Generation Internet" zwischen Glück und Abhängigkeit (2018) untersucht, wie Heranwachsende digitale Medien in ihrem Alltag nutzen, welche Einstellungen sie zu sozialen Medien und Onlinerisiken haben und wie sie ihre eigene Medienkompetenz einschätzen.[2]

40 % der befragten 14- bis 24-Jährigen zählten Beleidigungen und Hasskommentare zu den größten Onlinerisiken (DIVSI 2018, S. 73). Zwei Drittel bezeichneten das Internet als „Beleidigungskultur“ (ebd., S. 13). Wird die eigene Meinung im Netz geäußert, müsse mit Beleidigungen und/oder Beschimpfungen gerechnet werden (ebd.). Dies ist auch der Grund dafür, warum mehr als ein Drittel der jungen Nutzer*innen bewusst auf eigene Postings verzichtet (ebd.). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch eine repräsentative Bevölkerungsumfrage der Universität Leipzig. In dieser gaben 42 % der Befragten an, eigene Netzbeiträge aufgrund von Hassrede vorsichtiger zu formulieren bzw. sich gegen bestimmte Postings zu entscheiden (Universität Leipzig & Forschungsgruppe g/d/p 2020, o. S.).[3] Die Ergebnisse zeigen, dass Internetkommentare im Verlauf der letzten fünf Jahre als (deutlich) aggressiver wahrgenommen werden. Dies führt unter Nutzer*innen zu Verunsicherung, aber auch zu Angst im Hinblick auf die eigene Onlineaktivität (ebd.).

Zwischen „Silencing“ und verzerrtem Meinungsbild

Eine Studie des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (2019) verdeutlicht: Hatespeech im Netz zieht Einschüchterungseffekte nach sich.[4] Diesbezüglich wird auch vom Effekt des sogenannten „Silencing“ (zu Deutsch: Verstummen) gesprochen. Aus Angst vor Hasskommentaren und heftigen Hassreaktionen bekennen sich Internetnutzer*innen seltener zu ihrer politischen Meinung/Einstellung (Geschke et al. 2019, S. 5). Folglich reduziert sich die Meinungsvielfalt im Netz, wodurch auch das gesellschaftliche Meinungsbild verzerrt wird (vgl. ebd.). Ohne kritische Gegenstimmen, die den Beiträgen von Hassredner*innen entgegengestellt werden, kann leicht der Eindruck entstehen, dass die in den Hasskommentaren vertretene Haltung dominiert bzw. der gesellschaftlichen Mehrheitsmeinung entspricht. Dies kann wiederum Einfluss auf die persönliche Meinungsbildung nehmen.

Emotionaler Stress und (akute) Alltagsbeeinträchtigungen

Für Betroffene von Hatespeech kann der Kontakt und Umgang mit Hasskommentaren gesundheitsschädigend und traumatisch sein. So zeigen die Befragungen des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (2019), dass insbesondere junge Menschen unter 25 Jahren mit Negativkonsequenzen von Hatespeech zu kämpfen haben. Unter anderem können emotionaler Stress und Depressionen auftreten. Zudem tangieren die Erfahrungen mit Hatespeech auch den persönlichen Alltag junger Nutzer*innen. Betroffene berichten davon, Probleme bei der Bewältigung schulischer, universitärer oder arbeitsbedingter Aufgaben zu haben (vgl. Geschke et al. 2019).

Welche Handlungsoptionen gibt es?

Die verschiedenen Studienergebnisse zeigen, dass Hatespeech sowohl auf der persönlichen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene fatale Konsequenzen nach sich ziehen kann. Doch welche Handlungsoptionen haben Betroffene als auch Mitlesende? Eine Auswahl an Unterstützungsangeboten ist auch in der Playlist „Aufklärungs- und Sensibilisierungsangebote zu Hatespeech“ zusammengetragen und vorgestellt.

Blockieren, Melden, Löschen

Fast alle großen Social-Media-Plattformen bieten ihren Nutzer*innen die Möglichkeit, Beiträge, Kommentare, oder auch ganze Profile, Seiten und/oder Gruppen zu melden. Die expliziten Meldegründe können sie dabei angeben. Werden Nutzer*innen unter eigenen Beiträgen mit Hasskommentaren konfrontiert, haben sie zudem die Option, die jeweiligen Verfasser*innen zu blockieren bzw. die entsprechenden Kommentare zu löschen.

Bundesweite Meldestellen für Hass und Hetze im Netz

Neben den angebotenen Handlungsoptionen der Plattformen gibt es im Netz außerdem verschiedene Online-Meldestellen, auf denen Hasskommentare und Online-Hetze per Beschwerdeformular gemeldet werden können. Hierzu gehören beispielsweise die Meldestellen respect! oder auch das Onlineangebot hassmelden.de. Die eingehenden Beschwerden werden von einer Fachgruppe geprüft. Erfüllen die gemeldeten Inhalte einen und/oder mehrere konkrete Straftatbestände, werden diese zur strafrechtlichen Verfolgung angezeigt bzw. an die entsprechende Strafverfolgungsbehörde weitergeleitet.

Beratungs- und Hilfsangebote

Allgemein gilt: Hatespeech kann nur dann juristisch verfolgt werden, wenn ein Straftatbestand vorliegt. Betroffene können in diesem Fall eine Anzeige, eine Abmahnung und/oder eine Unterlassungserklärung gegen den*die Verfasser*in stellen. Häufig sind zivilrechtliche Schritte gegen Hatespeech jedoch mit einem hohen Kosten- und Zeitaufwand verbunden, weswegen viele Betroffene auf eine Anzeige verzichten. Seit 2018 bietet der Verein HateAid daher kostenlose Beratungen und juristischen Beistand für Betroffene digitaler Gewaltphänomene wie Hatespeech.

Die Online-Beratungsstelle jugend.support richtet sich direkt an Kinder ab 12 Jahren und Jugendliche. Auch hier können Hasskommentare und -postings per Beschwerdeformular gemeldet werden. Zudem wird verständlich darüber informiert, wie sich problematische Inhalte in Apps und sozialen Netzwerken wie bspw. WhatsApp und Instagram melden und/oder blockieren lassen. Das Onlineangebot vermittelt zudem den Kontakt zu Beschwerde- und Beratungsstellen für den Umgang mit Hatespeech und Co.

Dagegenreden – Counter Speech

Um Einschüchterungseffekten und der Verzerrung des gesellschaftlichen Meinungsbildes verstärkt entgegenwirken zu können, ist Gegenrede (Counter Speech) eine immer wichtiger werdende Strategie im Umgang mit Hatespeech. Dabei geht es nicht darum, Hass mit Gegenhass, sondern sachlich, respektvoll und mit durchdachten Argumenten zu begegnen. Durch Gegenrede werden herabsetzende und menschenverachtende Äußerungen öffentlich benannt und kritisch eingeordnet. Gleichzeitig wird somit Solidarität mit den Betroffenen gezeigt und andere Mitlesende werden ermutigt, sich ebenfalls gegen Hassrede starkzumachen. Diese Gegenrede muss nicht immer in Form von Argumenten und Diskussionen stattfinden. Auch humorvolle Konter, wie sie beispielsweise der Konterbereich der Neuen deutschen Medienmacher*innen bereithält, setzen ein eindeutiges Zeichen gegen Hass im Netz.

1. Online-Befragung des Sozialforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) (2020), abrufbar unter: www.medienanstalt-nrw.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2020/2020/juni/neue-forsa-zahlen-zur-wahrnehmung-von-hassrede-im-netz.html.

2. Deutsche Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) (2018): Euphorie war gestern – Die „Generation Internet“ zwischen Glück und Abhängigkeit, abrufbar unter: www.divsi.de/publikationen/studien/divsi-u25-studie-euphorie-war-gestern/index.html. Videoaufnahme der Pressekonferenz zum Erscheinen der Studie abrufbar unter: www.youtube.com/watch?v=WlFIiaqNV80.

3. Forschungsgruppe g/d/p (2020): Hate Speech. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, abrufbar unter: www.gdp-group.com/fileadmin/ms/pressetext_hate_speech_final.pdf.

4. Geschke, D., Klaßen, A., Quent, M., & Richter, C. (2019): Executive Summary #Hass im Netz: Der schleichende Angriff auf unsere Demokratie. Eine bundesweite repräsentative Untersuchung, im Auftrag von campact e.V. abrufbar unter: www.campact.de/presse/mitteilung/20190703-pm-hass-im-netz-bundesweite-studie/.

Autorin

Lena Wandner studierte Kinder- und Jugendmedien an der Universität Erfurt. Ihre Arbeits- und Interessenschwerpunkte liegen in der Medienwirkungsforschung und dem Bereich des Jugendmedienschutzes. 2020 unterstützte sie die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF) in redaktionellen Tätigkeiten als Autorin für den fsf blog sowie den Medienradar. Seit 2021 ist sie in der Jugendschutzabteilung der ProSiebenSat.1 Group tätig.

[Bild: Privat]
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