Artikel

Antisemitismus im deutschen Rap

Essay

Marcus Staiger

CC BY-NC-ND 3.0/Marcus Staiger für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de, 02/2018

Die Diskussion über Rap und Antisemitismus ist verworren. Denn stets wird der Nahostkonflikt mitverhandelt, an dem sich harte ideologische Grenzen auftun, die meist nichts mehr mit dem Nahostkonflikt, sondern nur noch etwas mit dem eigenen Standpunkt zu tun haben.

Die deutsche Presse ist sich sicher: Deutscher Rap hat ein Antisemitismusproblem, und die noch nicht restlos integrierten Immigranten aus den vorwiegend muslimischen Teilen dieser Welt gleich mit. In den vergangenen Jahren hat die Zahl der Veröffentlichungen zu diesem Thema deutlich zugenommen. Die meisten Beiträge wiederholen sich und bringen dabei einiges durcheinander.

So wird beispielsweise immer wieder betont, dass nicht nur Personen mit Migrationshintergrund latent anfällig für antisemitisches Gedankengut seien, aber dennoch im selben Atemzug nachgefragt, ob Deutschland ein importiertes Antisemitismusproblem habe. Anhand von zwei bis drei gebetsmühlenartig zitierten Textzeilen wird versucht zu belegen, dass ein ganzes Musikgenre tendenziell antisemitisch sei, und die immer gleichen Experten werden zu den immer gleichen Fragen befragt, wobei sich diejenigen nie äußern, die für die Textzeilen verantwortlich sind. Der Angriff auf einen Rabbiner in Berlin-Steglitz wird ebenso als Beweis für eine neue Qualität des Judenhasses in Deutschland herangezogen wie die Protestaktionen gegen die Entscheidung der USA, ihre Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, als wären Schläge und Proteste dasselbe.

Wenn sich dann wiederum Rapper mit teilweise muslimischem Migrationshintergrund in ungelenkem Antiimperialismus und kritikloser Solidarität mit der palästinensischen Sache zu Wort melden, ist sofort klar: Hier wollen sich Leute dem staatlich auferlegten Kampf gegen Antisemitismus, zu dem in Deutschland Solidarität mit dem Staat Israel gehört, nicht anschließen, was ihnen dann neben einem Antisemitismusvorwurf auch den Tadel einbringt, dass sie sich nicht richtig in die deutsche Wertegemeinschaft integrieren würden. So entsteht eine Zirkelargumentation, die sich immer wieder selbst befeuert und nur der Versicherung des eigenen Standpunktes dient.

Dass auf der Seite der Beschuldigten die gleichen Fehler gemacht werden, macht es nicht besser. Da wird ein regionaler Konflikt, der die meisten Menschen persönlich überhaupt nicht betrifft, zu einer Sache zwischen Muslimen und dem Rest der Welt stilisiert. Da wird der Einwand, mit der deutsch-jüdischen Geschichte nichts zu tun zu haben, mit einem Freifahrtschein für Vorurteile und Ressentiments verwechselt, was dazu führt, dass jüdische Menschen weltweit zur Verantwortung für die Politik eines kleinen Landes im Nahen Osten gezogen werden. Da wird von dunklen Hintermännern des Zinsgeldsystems gesprochen, von Zionisten, die auch für die Bankenkrise, diverse Kriege und den Bau einer Sperranlage zwischen Israel und dem Westjordanland verantwortlich sind. Da wird Kritik an der israelischen Besatzungspolitik durch die Unterstellung torpediert, die Israelis würden aus purer Bosheit und reiner Lust am Töten handeln. Und schließlich wird die Kritik an dieser Art von Kritik als Beleg dafür genommen, dass man sowieso nicht offen über solche Sachen sprechen dürfe in diesem Land, weil die Macht der Zionisten beziehungsweise Juden so groß sei, woraufhin auch hier ein Zirkelschluss entsteht.

Diese verschiedenen Stränge zu entwirren und das eine vom anderen abzugrenzen, wäre die Aufgabe von Medien, Politik und Pädagogik, die allerdings in Deutschland aufgrund der speziellen deutsch-jüdischen Geschichte mit äußerster Vorsicht angegangen wird. Entsprechend verquer und verklemmt wird Antisemitismus diskutiert – Missverständnisse, Unterstellungen und Vorverurteilungen eingeschlossen. Es wäre dringend notwendig, das zu ändern.

Vorstellungen wie jene, dass „die Juden“ die Welt beherrschen und etwas ganz Eigenes an sich haben, tauchen immer wieder in deutschsprachigen Raptexten auf. Zugleich werden aufgrund der Vorstellung, dass jeder Jude für die Entscheidungen der israelischen Regierung verantwortlich sei, jüdische Kinder auf dem Schulhof zusammengeschlagen. Was das eine aber mit dem anderen zu tun hat und worin die Gründe für diesen Judenhass zu suchen sind, ist nicht ganz so klar und soll im Folgenden ausgeleuchtet werden.

Drei Perspektiven und eine Sackgasse

Das Dilemma der medialen Diskussion spiegelt sich in drei älteren Beiträgen wider: Auf der einen Seite tritt eine besorgte Öffentlichkeit auf, die irgendwie fühlt, dass sich eine Art von Antisemitismus neuer Qualität zusammenbraut und sich deshalb mit Inbrunst auf Textzeilen stürzt, die etwa das Wort „Jude“ mit „Kokain“ und „Börse“ in Zusammenhang bringen, und sich an „antiisraelischen“ Statements in Rapsongs stört. Auf der anderen Seite steht ein Kommentator, der diese Vorwürfe als verzweifelte Suche nach dem „Bigfoot“ abtut und ein Dritter, der das Ganze einzuordnen versucht.

Den Aufschlag macht am 16. April 2012 der Journalist Boris Peltonen in einem Beitrag auf Welt Online, in dem er anhand von Textzeilen der Rapper Haftbefehl, Celo und Abdi versucht, dem deutschen Rap ein Antisemitismusproblem nachzuweisen.[1] Dabei legt er den Grundstein für das, was die Debatte in den kommenden Jahren so schwierig und verfahren machen wird: Er vermengt die muslimische Herkunft der Protagonisten mit dem Image von Gangsta-Rap und stellt beides in einen direkten Zusammenhang mit dem terroristischen Anschlag eines jungen Franko-Algeriers, der einen Monat zuvor in Toulouse mehrere jüdische Schüler erschossen hat und früher einmal Gangsta-Rapper gewesen sein soll. Er vermengt die persönliche Geschichte des jüdischen Berliners iranischer Herkunft Arye Sharuz Shalicar, der aufgrund seines Jüdisch-Seins von seinen oftmals muslimischen Mitschülern angegriffen und gedemütigt wurde, mit den palästinasolidarischen und antizionistischen Statements von Celo und Abdi. Er erklärt die plumpen Provokationen aus dem Hause Azzlack, die mit den Versatzstücken der gescheiterten deutschen Herrenrasse spielen, als neue Geisteshaltung einer Generation von Einwanderern und Gangsta-Rappern und ist sich sicher, dass Celo und Abdi ihr Album Hinterhofjargon nur deshalb so genannt haben, weil man es mit „HJ“ abkürzen kann.

Der Journalist Stefan Zehentmeier reagiert einige Tage später auf der Plattform Vice mit einer Replik, in der er Peltonen vorwirft, endlich etwas gefunden haben zu wollen, das gar nicht existiere, nämlich „Nazirap von kahlgeschorenen Skinheads“.[2] Dabei übersieht er, dass es Peltonen gar nicht um Rechtsrap von sogenannten Biodeutschen geht, sondern explizit um Statements von migrantischen Jugendlichen, und führt diesen Umstand sogar als Beleg dafür an, dass Rap überhaupt nicht rassistisch und antisemitisch sein könne, weil er gerade von migrantischen Jugendlichen gemacht werde.

Wörtlich schreibt er: „Zugleich hat es die HipHop-Bewegung in den Folgejahren geschafft, sich von vielen gesellschaftlichen Mechanismen zu lösen – und zuletzt großflächig eben auch von rassistischen Motiven. Als Parallelkultur wird man nicht nach sozialer Herkunft beurteilt, sondern nach dem, was man kann und zu leisten bereit ist. Nicht nur musikalisch hat sich das Genre geöffnet, es zählen dicke Georgier wie Action Bronson (ebenfalls mit jüdischen Wurzeln) oder ein Kosha Dillz zum Gesamtbild HipHop. Jude zu sein, ist beinahe hip geworden – das demonstriert nicht zuletzt niemand geringerer als Megastar Drake, der in seinem aktuellen Video ‚HYFR‘ mal eben zusammen mit Lil Wayne seine Bar Mitzwa nachfeiert.“[3]

Dieser etwas naiven Sichtweise auf Rap als per se antirassistische und weltverbindende Hippiemusik entgegne ich mit dem Hinweis, dass es vielmehr um ein unterschwelliges Problem geht: „Bei den angesprochenen Symptomen [handelt es sich] eher um Begleiterscheinungen und Stimmungen innerhalb der Szene als um einzelne Rhymes und Textpassagen, was wiederum darauf hinweist, dass es sich um ein Gedankengutproblem außerhalb des radikal-künstlerischen Schaffens handelt. Ein Problem, das nicht besser wird, je länger es hinter vorgehaltener Hand und unterhalb der Wahrnehmungsgrenze vor sich hinköchelt. So let’s talk offen.“[4]

Mir fallen mehrere Beispiele ein, die durchaus als antisemitisch einzustufen sind: eine Situation während der Dreharbeiten zu der "Rap.de"-Reportage "Juden und Araber in Berlin", in der einer der Interviewten auf die Frage, wie der Nahostkonflikt zu lösen sei, mit den Worten "ein neuer Adolf muss her" antwortet; ein deutschsprachiger Rapper, der im Interview mit "Rap.de" darüber sinniert, dass man Israel ja nicht kritisieren dürfe, weil ansonsten der Mossad möglicherweise eine U-Bahn entgleisen lassen könnte; der Rapper und spätere IS-Kämpfer Deso Dogg, wie er auf einer Bühne am 1. Mai in Berlin-Kreuzberg die Hisbollah-Fahne schwenkt, und die euphorischen Reaktionen des Publikums auf jedes antiisraelische Statement, die weit über die Beifallsbekundungen zu anderen politischen Äußerungen hinausgehen; und selbst im internationalen Rapvergleich ist es durchaus geläufig, sich abfällig über jüdische Menschen zu äußern, so zum Beispiel Ice Cube, der gegen den weißen, jüdischen Manager von Eazy-E hetzte.

All das sind Phänomene, an denen man zwar nicht und vor allem nicht in jedem Einzelfall ein geschlossenes antisemitisches Weltbild festmachen, aber doch durchaus die Tendenz ablesen kann, dass die alten stereotypen Zuschreibungen gegenüber jüdischen Menschen noch immer existieren und sich teilweise auch mit Kritik an der Politik Israels vermischen und in den Köpfen jeder Menge junger Leute herumschwirren. Der fromme Wunsch, offen darüber zu sprechen, um herauszufinden, wie tief sich diese alten Vorurteile bereits eingegraben haben oder wo es sich nur um bloße Provokation handelt, welche Rolle Vertreibung, Geschichte und Kolonialismus dabei spielen und wo man als Erbin und Erbe einer deutsch-jüdischen Geschichte auch eine andere Geschichte anerkennen muss, hat sich bis heute nicht erfüllt.

Was auf diesen Wortwechsel folgte, war jede Menge Kritik und Unmut aus allen möglichen Ecken. Auf der einen Seite beschwerten sich die angesprochenen Rapper, die sich gegen den Antisemitismusverdacht zur Wehr setzten und ihre Statements nur als Kritik an der Politik Israels verstanden wissen wollten. Auf der anderen Seite klagten all jene, die der palästinasolidarischen Position zu viel Verständnis entgegengebracht sahen.

Dabei wurde offensichtlich, dass ein offener Diskurs in Deutschland durch die besondere Ausgangslage eher schwierig werden würde und immer wieder in eine Sackgasse führt, weil er zwei Dinge unablässig miteinander verknüpft, die getrennt voneinander behandelt werden müssten: Antisemitismus an sich, also die Ausgrenzung, Stigmatisierung und Anfeindung von jüdischen Menschen auf der einen Seite und die deutsche Solidarität mit dem Staat Israel auf der anderen Seite. Die Verquickung dieser beiden Themenfelder macht die Diskussion über Rap und Antisemitismus so verworren. Denn dadurch wird der Nahost-Konflikt immer gleich mitverhandelt, an dem sich ganz harte ideologische Grenzen auftun, die in den meisten Fällen – und das ist das Tragische daran – überhaupt nichts mit dem Nahost-Konflikt, sondern immer nur etwas mit dem eigenen Standpunkt zu tun haben.

Bestandsaufnahme

Die Diskussion über Antisemitismus im deutschsprachigen Rap dreht sich überwiegend um gewisse Codes in Raptexten, bei denen allerdings nicht immer klar ist, ob sie seitens der Sprechenden das transportieren sollen, was die Kritisierenden verstehen wollen. Offen zur Schau getragener Judenhass ist in Raptexten äußerst selten. Das einzige offen antijüdische Statement eines deutschsprachigen Top-Ten-Rappers stammt aus einem Song von Haftbefehl, den dieser als 16-jähriger aufgenommen hat. Darin heißt es:

„Ein Grund für die Bullen du bist Moslem du wirst observiert
Du nennst mich Terrorist ich nenne dich Hurensohn
Gebe George Bush ein Kopfschuss und verfluche das Judentum
Habe euch durchschaut und sage das zu eurem Krieg
Ihr wollt nur Waffen verkaufen und die Taschen voll mit Kies“

Hierbei ist interessant, wie die eigene Rassismus- und Diskriminierungserfahrung als junger, männlicher, muslimischer Mensch mit der weltpolitischen Lage in Zusammenhang gebracht wird, in der ein US-Präsident genauso als Unterdrücker wahrgenommen wird wie die Offenbacher Polizei und das Judentum, das dafür in Haftung genommen wird, dass im Westjordanland und dem Gazastreifen ein jüdischer Nationalstaat als Besatzungsmacht gegenüber einer überwiegend muslimischen Bevölkerung auftritt.

Jahre später distanzierte sich Haftbefehl in einem Interview von seinem Frühwerk und erklärte: „Ich war dumm. Heute halte ich jede Religion für gleichwertig und gut. Hauptsache, der Mensch glaubt. An Gott. Ich bin unter Türken und Arabern aufgewachsen. Da werden Juden nicht gemocht. Es gibt ja auch keine dort. Ich will Ihnen verraten, wie ein 16-jähriger Offenbacher tickt: Für den ist alles, was mächtig ist und reich, aus seiner beschränkten Sicht jüdisch. Er hängt mit anderen 16-Jährigen herum. Sie hassen alles. Deutsche sind für sie Kartoffeln. Davon habe ich mich freigemacht.“[5]

Dabei bleibt allerdings die Frage offen, warum gerade „den Juden“ diese besondere Macht zugeschrieben wird. Schließlich dürfte die reale Macht der hessischen Landesregierung in Offenbach durchaus greifbarer sein als die herbeifantasierten Machenschaften einer jüdischen Weltverschwörung.

Trotz allem haben gerade diese Bilder in deutschen Raptexten eine lange Halbwertszeit und kommen immer wieder vor. Das liegt zum einen an der besonderen Beschaffenheit von Rapmusik, in der es auch immer wieder darum geht, eine klare Trennlinie zwischen sich und einem imaginierten Gegner zu ziehen. Das Prinzip des Battle-Raps funktioniert eben auch außerhalb der reinen Battle-Rap-Arena und lebt davon, die Welt in schwarz und weiß darzustellen. Damit hat es sehr viel mit anderen popkulturellen Erzählungen wie Star Wars gemein, in denen es auch eine klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse gibt. Allerdings eignet sich dieses Prinzip nicht unbedingt als Grundlage für einen differenzierten Diskurs über das Weltgeschehen.

Zugleich hat sich das Weltbild der Protagonisten vor dem Hintergrund der Moral einer bürgerlichen Gesellschaft geformt, die Krisen und Katastrophen auf individuelles Fehlverhalten zurückführt. Wenn es weltweit zu einer Bankenkrise kommt, wird selten und dann äußerst verhalten nach der Sinnhaftigkeit des ganzen Systems gefragt, sondern eher die exzessive Gier einzelner Banker an den Pranger gestellt. Wenn man dann auch noch seine weltpolitische Bildung aus Youtube-Veröffentlichungen wie Zeitgeist oder Die 13 satanischen Blutlinien bezieht, wird es nicht unbedingt fortschrittlicher. Und so tauchen auch in deutschsprachigen Raptexten die verschiedenen Formen des Antisemitismus auf, von denen insbesondere drei im HipHop-Kontext relevant sind.[6]

Eine noch eher untergeordnete Rolle spielt der „sekundäre Antisemitismus“ – eine Art Schuldabwehr, bei der mit Blick auf den Holocaust eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben wird und Juden bezichtigt werden, zum Teil selbst schuld an ihrer Verfolgung gewesen zu sein oder diese inszeniert zu haben, um nun davon zu profitieren und die Deutschen am Gängelband zu führen. Die dazugehörende Vorstellung, dass es sich bei „den Juden“ um ein einheitliches Kollektiv handelt, das ein gemeinsames Interesse verfolgt und mit einer ihm zugeschriebenen Macht Einfluss auf den öffentlichen Diskurs nimmt, taucht zum Beispiel im Song Contraband von Snaga und Fard auf, wenn Snaga zunächst „kontra Bilderberger, Volksverräter, Hintermänner“ sowie „kontra Zins, kontra Schuld, kontra Geduld“ wettert. Dass dann auch noch ein „und ja, pro Todesstrafe für Kinderschänder“ hinterhergereicht wird, passt in ein Argumentationsmuster, das an die NPD erinnert.

Weitaus prominenter sind im deutschsprachigen Rap „Verschwörungstheorien“ mit antisemitischen Stereotypen. In einer Welt, die oft schwer durchschaubar erscheint, versprechen Verschwörungstheorien Halt und Sinnstiftung, wobei dies kein Privileg der Rapzunft ist: Krisenzeiten sind Verschwörungszeiten, und selbst in der Bundesrepublik ist das Bewusstsein dafür vorhanden, dass die globalen Erschütterungen näher kommen, und mit ihm die Angst. Dann kommen die einen auf die Idee, der „Zustrom“ von Millionen von Flüchtlingen sei von den USA organisiert und diene einer großen „Umvolkung“, während die anderen meinen, dass ohnehin alles von einer Handvoll Dunkelmänner gesteuert sei. Widersprüche werden konsequent zum Ergebnis eines Fehlverhaltens einiger weniger umgedeutet, sodass die Welt wieder in Gut und Böse organisiert ist.

So funktioniert Popkultur, so funktioniert Populismus und so funktioniert auch Rap stellenweise. Daher ist auch nicht verwunderlich, dass es in politisch angehauchten Rapsongs vor Illuminaten, Rosenkreuzern und anderen Geheimgesellschaften nur so wimmelt. Der Topos der „New World Order“ taucht immer wieder auf, das Zinssystem wird als Grund dafür angesehen, warum es mit dem eigentlich für gut befundenen Kapitalismus nicht so richtig läuft, und bis zur jüdischen Weltverschwörung ist es dann nicht mehr weit. Das macht der Rapper Favorite in seinem Song Sanduhr in Zusammenarbeit mit Kollegah vor. Dort heißt es einmal: „Ich leih dir Geld, doch nie ohne ’nen jüdischen Zinssatz.“ Und an anderer Stelle: „Yeah, Freispruch, wie üblich, ich kann hier halt machen, was ich will dank meines jüdischen Anwalts.“

Teilweise reicht der Einfluss dieser angeblichen weltumspannenden jüdischen beziehungsweise zionistischen Lobby sogar bis ins lokale Kioskgewerbe, etwa bei Hassan K., wenn er in seinem Song Juggernaut einen klassischen Gut-Böse-Gegensatz aufmacht:

„Der Zionist bietet mir Whisky an
Ich sage ich trinke nur Wasser
Er macht jährlich Urlaub in Thailand
Und ich geh in die Heimat.“

Das Wort „Zionist“ ist einer der angesprochenen Codes und in diesem Zusammenhang nur eine schlechte Tarnung für das, was eigentlich gemeint ist: „der“ Jude, der das Böse, den Teufel verkörpert und die Menschen zu unreinen Handlungen wie dem Trinken von Alkohol verführen möchte.

Der Begriff „Zionist“ wird immer häufiger als Chiffre für „den Juden“ genommen, auch weil damit vordergründig eine Kritik an Israel verbunden wird – und hier wird eine saubere Unterscheidung schwierig. Israelbezogene Kritik wird dann als antisemitisch bezeichnet, „wenn sie alle Jüdinnen und Juden weltweit für die israelische Politik verantwortlich macht, die israelische Politik an Maßstäben misst, die an kein anderes demokratisches Land gesetzt werden, oder wenn dem Staat Israel aufgrund seiner jüdischen Selbstdefinition das Existenzrecht abgesprochen wird“.[7]

Dieser sogenannte „israelbezogene Antisemitismus“ wird deutschsprachigen Rappern am häufigsten vorgeworfen. Das ist jedoch nicht unbedingt immer gerechtfertigt, auch wenn einigen deutschen Leitmedien der reine Verdacht und die Behauptung, dass es so sei, für ein Urteil vollkommen ausreichen. Dass Antizionismus, Palästinasolidarität und Kritik an der israelischen Politik sehr oft mit israelbezogenem Antisemitismus gleichgesetzt werden, ist für eine offene Diskussion äußerst hinderlich.

Fetisch Nahost-Konflikt?

So sehen sich Rapper wie Massiv, dessen Großeltern aus Palästina vertrieben wurden, oder auch palästinensischstämmige Rapper wie Ali Bumaye Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt, weil sie sich in Songs teilweise sehr sentimental mit der Heimat ihrer Eltern und Großeltern beschäftigen und die Missstände der israelischen Besatzungspolitik zur Sprache bringen – zweifellos einseitig, aus Sicht der Betroffenen und Unterlegenen, ohne ausgewogene und differenzierte Betrachtungsweise, aber warum auch nicht? Schließlich handelt es sich bei Rap um Kunst, die radikal und parteiisch sein darf. Dass Differenziertheit aber fehlt, wird den Künstlern in diesem Fall häufig zum Vorwurf gemacht, erst recht wenn sie keine direkten verwandtschaftlichen Verhältnisse in die Region unterhalten.

Allerdings begehen diejenigen, die Kritik an der israelischen Regierung als antisemitisch diffamieren, denselben Fehler im Umkehrschluss, indem sie jeglichen verbalen Angriff auf die Politik Israels als Angriff auf alles Jüdische umdeuten.

Nun kann sicherlich mit einiger Berechtigung gefragt werden, woher die zum Teil geradezu fetischhafte Beschäftigung mit dem Nahost-Konflikt im deutschsprachigen Rap herrührt. Dabei muss in Betracht gezogen werden, dass sich aus Sicht vieler junger Muslime in Deutschland ihre eigenen Erfahrungen und das Schicksal von Millionen von Muslimen im Nahen Osten wie unter einem Brennglas konzentrieren – etwa dass ein Großteil der muslimischen Welt seit über zwei Jahrhunderten immer wieder Erfahrungen mit westlichem Imperialismus machen musste oder dass Muslime in westlichen Ländern um Anerkennung ringen und häufig unter Generalverdacht stehen, alles Mögliche zu sein, nur keine guten Staatsbürger. Die verhaltene Kritik an der israelischen Siedlungs- und Besatzungspolitik vonseiten der Bundesregierung empfinden viele als heuchlerisch und doppelmoralisch, zumal diese sonst sehr schnell dabei ist, die Wahrung der Menschenrechte anzumahnen, wenn es ihr in den Kram passt. Diese Art empfundener Ungerechtigkeit sowie die damit einher gehende Provokation samt den hysterischen Reaktionen der Öffentlichkeit machen es wohl so interessant, das Thema immer wieder aufs Neue in Raptexten zu verarbeiten.

Es sei einmal dahingestellt, inwieweit es sich bei solchen Texten tatsächlich um selbst erfahrenes Unrecht, ein Gefühl oder sonstige künstlerische Aneignung handelt, ob und inwieweit eine eingehende Beschäftigung mit dem Thema erfolgt ist oder es sich schlicht um einen Trend handelt. Das Urteil der deutschen Öffentlichkeit fällt durchweg negativ aus: Den Protagonisten werden antisemitische Tendenzen unterstellt, und die mangelnde Israelsolidarität wird als Mangel an Fähigkeit und Willen ausgelegt, sich in den deutschen Wertekonsens zu integrieren. Und an dieser Stelle geht es dann auch nicht mehr um den Nahost-Konflikt an sich, um eine sachliche Beurteilung dessen, was dort passiert und wie das in den Songtexten auftaucht, sondern nur noch darum, welche Position man dazu einzunehmen hat.

„Das zeigt, dass wir in Deutschland nie darüber sprechen, was hier im Nahen Osten wirklich stattfindet, sondern immer nur über uns“, sagt Tsafrir Cohen, der Leiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv, dazu. „Das ist alles so selbstzentriert und hat überhaupt nichts mit der Zukunft des Landes Israel zu tun, sondern nur damit, wie wir selbst mit der Nazivergangenheit umgehen. Mit der Frage: Wer sind wir? Das Problem ist aber zu groß, um sich nur mit sich selbst zu beschäftigen, weil Deutschland ja auch Einfluss auf diese Region hat.“[8]

Was tun?

An dieser Stelle müsste ein vollkommen neuer Denkansatz her, vor allem auch, wenn es tatsächlich darum geht, das Aufflackern eines neuen Antisemitismus im Keim zu ersticken und man es nicht nur bei staatstragenden Lippenbekenntnissen belassen will. Denn so sehr sich auch das offizielle Deutschland hinter den israelischen Staat und die jüdische Gemeinde stellt, so wenig sich auch die Lage der arabischen Welt im Allgemeinen und die Lage der Palästinenser im Speziellen unter den realen Machtbedingungen der Welt verändert, so bedrohlich ist auch die Situation für jüdische Menschen mitunter im Alltag.

Zwar spielen Homophobie und Sexismus im Rap immer noch eine bedeutend größere Rolle und sind dies auch gesamtgesellschaftlich die wohl dringlicheren Problemfelder, die es zu bearbeiten gilt. Aber nimmt man Rap als Spiegel von Debatten und Gedanken, die gesellschaftlich und besonders unter Jugendlichen verbreitet sind, so ist das Phänomen eben vorhanden.

Das Beharren darauf, dass es sich bei antisemitischen Äußerungen und Übergriffen um einen besonderen Tabubruch handelt, der sich in Deutschland einfach nicht gehört, ist wenig zielführend, geht es dabei doch um Diskriminierung und Rassismus. Solange der Eindruck vermittelt wird, dass es sich hier um eine exklusive Diskriminierung handelt, die aufgrund des exklusiven deutsch-jüdischen Verhältnisses auch exklusiv geahndet wird, und andere Rassismuserfahrungen in diesem Land nicht dieselbe Anerkennung erfahren (siehe NSU-Komplex), solange werden sich gewisse Bevölkerungsschichten nicht davon angesprochen fühlen. Den Horror des Holocaust als Menschheitskatastrophe zu vermitteln, aus dem die gesamte Menschheit ihre Lehren zu ziehen hat, wäre die adäquate Antwort einer Gesellschaft, die sich ernsthaft mit Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung auseinandersetzt.

Denn betrachtet man Rap nicht nur als Spiegel der Gesellschaft, sondern auch als Möglichkeit, die eigene Lebenswelt und Erfahrung sichtbar zu machen, so bietet sich hier die Chance für eine umfassende und ehrliche Diskussion. Diese kann allerdings nur dann erfolgreich geführt werden, wenn man die andere Erzählung gelten lässt und weniger den Tabubruch verurteilt, sondern endlich einmal auch nach dem Warum fragt. Dass die Antworten auf die grundlegenden Fragen der Gegenwart von vielen Rappern falsch beantwortet werden, ist ohne Zweifel, führt aber nicht dazu, dass die Fragen falsch sind. Würde man sich allerdings ernsthaft mit diesen Fragen auseinandersetzen, müsste man sich eben auch die Mühe machen, nach den richtigen Antworten zu suchen.

1. Vgl. Boris Peltonen, Kokain an die Juden von der Börse, 16.04.2012, http://www.welt.de/kultur/musik/article106182968 (abgerufen am 14.04.2020).

2. Stefan Zehentmeier, Die hoffnungslose Suche nach deutschem Nazi-Rap, 20.04.2012, http://www.vice.com/de/article/vdnb84/musik-die-hoffnungslose-suche-nach-deutschem-nazi-rap-celo-abdi-fler-welt-online (abgerufen am 14.04.2020).

3. Ebd.

4. Marcus Staiger, Keiner will was gesagt haben. Antisemitismus im deutschen Rap, in: Spex 339/2012, S. 34. https://archive.is/OHfVS (abgerufen am 14.04.2020).

5"Ich bin genauso deutsch wie mein Nachbar Marius", 24.11.2014. http://www.welt.de/kultur/pop/article134638230 (abgerufen am 14.04.2020).

6. Vgl. z. B. Armin Pfahl-Traughber, Ideologische Erscheinungsformen des Antisemitismus, in: APuZ 31/2007, S. 4–11. http://www.bpb.de/30327 (abgerufen am 14.04.2020).

7Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, Widerspruchstoleranz – ein Methodenhandbuch zu antisemitismuskritischer Bildungsarbeit, Berlin 2017, S. 56.

8. Tsafrir Cohen im Interview mit dem Autor, Frühjahr 2017.

Autor*in

Marcus Staiger, geboren 1971, lebt in Berlin. Er gründete 1998 das Rap-Label Royalbunker. 2008 war er für drei Jahre der Chefredakteur der Internetplattform rap.de. Seit 2011 ist er Industriekletterer, freier Autor und Moderator für u. a. SPEX, Berliner Zeitung, FAZ, JUICE, vice, noisey, vice.TV. 2014 erschien der Roman Die Hoffnung ist ein Hundesohn.

[Bild: William Minke]