Zahlen / Fakten

Jugendliche im Web: die Spielwiese und ihre Tücken

Ergebnisse der JIM-Studie 2023

Jenny F. Schneider

Medienradar, 12/2023

Instagram, TikTok, WhatsApp und YouTube prägen schon seit Jahren den Medienalltag junger Menschen. Die Apps bieten nicht nur schnelle Kommunikation und Unterhaltung, sondern auch Raum für kreative Entfaltung, Inspiration und Lernmöglichkeiten. Trotz vieler Vorteile bleiben die potenziellen Risiken hoch: Jugendliche werden regelmäßig mit Desinformationen und Verschwörungstheorien konfrontiert, während Influencer:innen ihr Kaufverhalten beeinflussen und Fälle von sexueller Belästigung zunehmen. Dieser Beitrag fasst ausgewählte Ergebnisse der aktuell erschienenen JIM-Studie 2023 zusammen und ordnet sie in den Kontext ein.

Die digital geprägte Jugend

Die neuste JIM-Studie wirft einen Blick auf die vergangenen 25 Jahre und zeigt auf, dass die Digitalisierung der jugendlichen Lebenswelten sich stabilisiert hat. Seit nunmehr 15 bis 20 Jahren prägen digitale Medien maßgeblich den Medienalltag von Jugendlichen – lediglich die Geräte, Anwendungen und Inhalte haben sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt.

Ebenso lange sind praktisch alle Jugendlichen mit Handys ausgestattet – bereits im Jahr 2005 besaßen 92 % von ihnen ein eigenes Mobiltelefon. Ungefähr zur selben Zeit tauchten damals die ersten sozialen Netzwerke hierzulande auf: schülerVZ ab 2007 und Facebook (gegründet 2004), das sich etwa ab 2008 in Europa etablierte. Social Media und Online-Communitys begleiten uns somit seit beinahe zwei Jahrzehnten. Durch die in Handys integrierten Digitalkameras stieg ab Mitte der 2000er-Jahre das Interesse der Jugendlichen fürs Fotografieren – dies legte zugleich den Grundstein für die digitale Selbstinszenierung.

Seit fast 15 Jahren ist auch die Nutzung des Internets fester Bestandteil des Alltags, denn bereits 2009 waren über 90 % der Jugendlichen regelmäßig online. Seit 2013, etwa zu dem Zeitpunkt, als der Besitz von Smartphones unter Jugendlichen verstärkt zunahm, liegt die durchschnittliche tägliche Onlinenutzung zwischen 3 und 4 Stunden (Ausnahme Corona-Jahr 2020: 4 h 18 min). Angesichts der begrenzten Freizeit von Jugendlichen neben Schule, Hausaufgaben, Schlaf und anderen Verpflichtungen ist anzunehmen, dass die Onlinenutzung in den kommenden Jahren hier nicht signifikant weiter steigen wird.

Digitaler Stress

Die digitale Kommunikation mit all ihren Vorteilen ist längst zum festen Bestandteil des Alltags geworden. Schon im Jahr 2000 gehörte das regelmäßige Schreiben von E-Mails zu den wichtigsten Aktivitäten Jugendlicher im Internet. 2005 war das Versenden von Kurz-Nachrichten (SMS) die wichtigste Handyfunktion für Jugendliche, die jedoch ab 2009 nach und nach von WhatsApp abgelöst wurde. Ebenso hat das Teilen eigener Inhalte (user-generated content) im Internet seit 2008 durch Plattformen wie YouTube und soziale Netzwerke einen bedeutenden Platz im Medienalltag der Jugendlichen eingenommen. In den letzten Jahren zeichnete sich jedoch eine wachsende Ermüdung gegenüber der digitalen Kommunikation bei den Heranwachsenden ab.

Obwohl einige Zahlen im Vergleich zur letzten Erhebung von 2021 leicht gesunken sind, geht aus ihnen ein erheblicher digitaler Stress bei Jugendlichen hervor. Dies kann auf verschiedene Gründe zurückzuführen sein: Einerseits hat die Vielfalt der digitalen Kommunikation enorm zugenommen. Früher waren E-Mails und SMS die Hauptkommunikationsmittel, doch heute steht ihnen eine breite Palette an Apps und Plattformen für den Austausch untereinander zur Verfügung: WhatsApp, Instagram, TikTok, Snapchat & Co., sowie diverse Online-Spiele.

Auf der anderen Seite haben sich auch die Kommunikationswege und -formen erheblich erweitert: Neben klassischen Direktnachrichten findet Kommunikation heute über Gruppenchats, Klassenchats, Status-Updates (z. B. bei WhatsApp), Stories (z. B. bei Instagram), geteilte und gelikte Inhalte sowie natürlich über die Veröffentlichung eigener Beiträge statt. Pushnachrichten auf dem Smartphone erinnern fortlaufend daran, welche App geöffnet werden sollte, um auf dem Laufenden zu bleiben. Dies kann einen erheblichen Druck erzeugen.

Die Verwendung digitaler Medien in Schulen zur Kommunikation verstärkt diesen Druck zusätzlich: Obwohl Schulclouds/Schulmessenger Jugendlichen bei der Organisation ihres Schulalltags helfen sollen, empfindet knapp ein Viertel von ihnen dadurch Stress. Fast jede:r dritte Heranwachsende hat das Gefühl, auf schulischer Ebene ständig erreichbar sein zu müssen. Das Abschalten von der Schule fällt 30 % der Jugendlichen dadurch deutlich schwerer. Damit wird die digitale Kommunikation auf schulischer Ebene genauso allgegenwärtig wie der digitale Austausch mit Freunden im Alltag.

Zugang zu aktuellem Weltgeschehen – das Internet als (Des-)Informationsquelle

Zwei Drittel der Jugendlichen sind am aktuellen Weltgeschehen interessiert, wobei dieses Interesse mit zunehmendem Alter wächst. Im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte sind zahlreiche neue Möglichkeiten der Informationsbeschaffung hinzugekommen: Suchmaschinen, Videoplattformen, Social Media und diverse Apps. Durch die Möglichkeit für jede:n Internetnutzer:in, auch selbst als Informationsquelle aufzutreten, ist die Menge an verfügbaren Informationen enorm angestiegen. Das Bewerten und Einordnen von Nachrichten ist für Heranwachsende heutzutage deutlich anspruchsvoller.

Knapp zwei Drittel der Jugendlichen erhalten Informationen über das aktuelle Weltgeschehen durch Gespräche innerhalb der Familie, gut die Hälfte verfolgt Nachrichten im Fernsehen oder Radio. Ebenso erfährt gut jede:r Zweite durch Unterhaltungen im Freundeskreis, was gerade passiert. Darüber hinaus spielen soziale Medien eine bedeutende Rolle bei der Informationsbeschaffung: Ein Drittel der Jugendlichen informiert sich über YouTube, 30 % über TikTok und 29 % über Instagram. Insbesondere die Bedeutung von YouTube und TikTok für die Informationsbeschaffung hat im Vergleich zum Vorjahr zugenommen.

In diesem Kontext kommen Jugendliche vermehrt mit Desinformationen in Kontakt: 58 % gaben an, allein im Vormonat der Studie auf Fake News gestoßen zu sein, 40 % wurden mit Verschwörungstheorien konfrontiert.

Pornografische Inhalte & sexuelle Belästigung

Erstmals wurden in der Studie auch der Kontakt mit pornografischen Inhalten sowie das Thema sexuelle Belästigung abgefragt. Allein im Vormonat der Studie ist knapp ein Viertel der Jugendlichen ungewollt mit pornografischen Inhalten in Berührung gekommen. Solche Inhalte werden oft unaufgefordert in Gruppen- und Klassenchats geteilt. Das weit verbreitete Unwissen über die rechtliche Lage stellt hierbei ein besonderes Problem dar, da über WhatsApp versendete Medien meist automatisch auf dem Smartphone gespeichert werden und somit in den Besitz des Smartphone-Eigentümers gelangen. Dies ist vor dem Hintergrund problematisch, dass bereits der Besitz bestimmter pornografischer Inhalte bereits strafbar sein kann.

Sexuelle Belästigung über das Internet haben bereits 30 % der Jugendlichen erlebt – Mädchen (36 %) häufiger als Jungen (24 %). Der Großteil davon findet über Instagram, TikTok und Snapchat statt.

Obwohl sexuelle Belästigung, insbesondere in Form von Cyber-Grooming, bereits in den 2000er-Jahren in Chatrooms stattfand und somit kein neues Phänomen des Internets darstellt, bleibt es eine der größten Gefahren für Jugendliche im Online-Bereich. Videochats über Webcams, die wachsenden Möglichkeiten zur Selbstinszenierung in den sozialen Medien sowie die mühelose Übertragung von Fotos und Videos in verschiedenen Apps tragen ebenso dazu bei wie die zunehmende Vielfalt, neue Kontakte zu knüpfen.

Beeinflussung durch Influencer:innen

In der Lebenswelt von Jugendlichen haben Influencer:innen, mit denen sie über Plattformen wie YouTube oder Instagram interagieren, eine bedeutende Vorbildfunktion. Da Influencer:innen oftmals Einblicke in ihr (vermeintliches) Privatleben gewähren und eine sehr persönliche Ansprache gegenüber ihren Follower:innen pflegen, entsteht bei Jugendlichen eine starke, vertraute Verbundenheit zu ihnen, die mitunter sogar als freundschaftlich empfunden wird. Dies kann dazu führen, dass Werbebotschaften durch Influencer:innen nicht immer als solche erkannt werden.

Es ist nichts Neues, dass Produkte sich besser verkaufen, wenn sie von bekannten Persönlichkeiten präsentiert werden. Diese Praxis hat in den letzten Jahrzehnten in der Fernsehwerbung, auf Plakaten, in Zeitschriften usw. hervorragend funktioniert. Zurückzuführen ist das vor allem darauf, dass mithilfe der Fangemeinde einer Berühmtheit ein breiteres Publikum erreicht wird und die positiven Gefühle, die Fans mit der Person verbinden, auf die beworbenen Produkte übertragen werden.

Doch mit der Darstellungsform von Influencer:innen ist eine neue Komponente hinzugekommen, die es Jugendlichen erschwert, Marketingmaßnahmen von authentischen „Freund-zu-Freund“-Empfehlungen zu unterscheiden: die Privatsphäre der Influencer:innen. Oft bewerben sie Produkte in ihrem Zuhause, also in ihrer vertrauten Umgebung. Zusätzlich macht die Mischung aus „privatem“ (= nicht bezahltem) und „bezahltem“ Content es schwierig zu erkennen, wann Influencer:innen persönliche Empfehlungen aussprechen und wann nicht.

Über die JIM-Studie

Die JIM-Studie 2023 – Jugend, Information, Medien ist am 20. November 2023 erschienen und stellt repräsentative Basisdaten zum Medienalltag von Jugendlichen in Deutschland vor. Herausgeber der Studienreihe JIM ist der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest (mpfs), gemeinsam getragen von der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) und der Medienanstalt Rheinland-Pfalz in Kooperation mit SWR Medienforschung & Analytics. Für die JIM-Studie 2023 wurden im Zeitraum vom 30. Mai bis 9. Juli 2023 deutschlandweit 1.200 Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren befragt – 70 % der Interviews wurden telefonisch (computergestützt) durchgeführt, 30 % online. Die vollständige Studie ist hier abrufbar.

 

Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs):JIM-Studie 2023 – Jugend, Information, Medien. Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK), Medienanstalt Rheinland-Pfalz 2022. Abrufbar unter https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2022/JIM_2023_web_final.pdf (abgerufen am 21.12.2023).

Autorin

Jenny F. Schneider arbeitet seit 2012 als freiberufliche Medienpädagogin und führt medienpädagogische Fortbildungen, Workshops, Projekttage und Elternabende in KiTas, Schulen, Hort und im außerschulischen Bereich durch. Bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) wirkte sie u. a. bei der Studie Scripted Reality auf dem Prüfstand, der Aktualisierung des Projekts Faszination Medien sowie der Umsetzung und redaktionellen Gestaltung von Medienradar mit. 

[Bild: privat]

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