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Grün ist eine profitable Farbe

Die Bedeutung der Digitalisierung für die Klimabilanz des Medienkonsums

David Assmann

Medienradar, 02/2023

Medien und Unterhaltungsindustrie durchlaufen im Zuge der Digitalisierung einen alles umfassenden Wandel: Mit den Möglichkeiten des Streamings beispielsweise ist Unterhaltung plötzlich unbegrenzt und rund um die Uhr auf den Endgeräten verfügbar. Geschäftsmodelle und Konsumverhalten ändern sich infolgedessen rasant und die Eigenschaften modernen Marktwachstums zeigen sich in einer besonders beschleunigten Form. Infolge einer scheinbaren Entmaterialisierung der Medien durch Streams und Clouds, können Anbieter ihre Produkte vermeintlich grün und gut angepasst an die Bedingungen des Klimawandels platzieren. Zu prüfen bleibt jedoch, inwieweit eine ständige Verfügbarkeit von Produkten und damit einhergehend ein verändertes Nutzungs- und Konsumverhalten der Energiebilanz eher noch schadet.

Streamingdienste wie Netflix und Spotify bedrohen die Existenz von Kinos, fordern das lineare Fernsehen heraus und machen physische Datenträger wie DVDs und CDs obsolet. Internet und Social Media verändern unser Leseverhalten und stellen das Modell von Printmedien in Frage. Was dieser Medienwandel für die Klimabilanz unseres Medienkonsums bedeutet, ist vielen Menschen nicht bewusst. Während man sich einigermaßen vorstellen kann, welche Ressourcen für Produktion und Vertrieb von CDs oder gedruckten Zeitungen benötigt werden, bleiben die für Streaming, Internet oder Emails aufgewendeten Ressourcen unsichtbar und abstrakt. Das verleitet dazu, diese Ressourcen zu unterschätzen, zu vernachlässigen oder zu vergessen. Tatsächlich ist jedoch der mit digitalen Inhalten verbundene Treibhausgasausstoß erheblich und fällt oftmals sogar schlechter aus als jener von analogen oder physischen Medien.

Vermehrt bitten etwa Zeitungen ihre Abonnent*innen, aus Gründen des Klimaschutzes von der Printausgabe aufs e-Paper umzusteigen. Auch hierbei handelt es sich bei genauerem Hinsehen um Greenwashing.  Zwar ist die Klimabilanz einer gedruckten Ausgabe im Jahresabo mit 79 kg CO₂ schlechter als die der digitalen Version mit 48 kg. Bezieht man jedoch in die Rechnung mit ein, dass eine analoge Zeitung durchschnittlich von 2,8 Personen gelesen wird, verschiebt sich das Verhältnis mit 28,2 kg CO₂ pro Person deutlich zugunsten des gedruckten Mediums.[1] Weniger um das Einsparen von Ressourcen geht es den Zeitungsverlagen offensichtlich um das Einsparen von Kosten angesichts eines bei schwindender Abonnentenzahl immer weniger rentablen Geschäftsmodells. Die Eigenschaft von analogen Medien und physischen Datenträgern, beliebig oft und von verschiedenen Personen genutzt werden zu können, ist ein enormer Vorteil gegenüber dem Streaming, bei dem ein Inhalt bei jedem Aufruf Energie verbraucht. Vor allem die Server und Service-Kosten der Musik-Streaming-Dienste verursachen dabei einen hohen CO₂-Ausstoß, denn sowohl Festplatten als auch Server-Infrastruktur haben einen enormen Energiebedarf. Auch Datenkabel auf dem Meeresgrund und Kühlelemente für die Server verbrauchen viel Energie. Hört man ein Album länger als fünf Stunden lang, übersteigt der Energieverbrauch des Streamings den einer CD.[2] In diesem Fall ist es effizienter, die Musikdaten auf einem lokalen Endgerät abzuspeichern, anstatt sie jedes Mal aufs Neue im Stream abzurufen. Klar ist: für das Klima ist die digitale Musikübertragung nicht eindeutig besser als die Nutzung physischer Datenträger. Daher wurde auch der Vorwurf des Greenwashings laut, als im August 2022 mit JYP Entertainment erstmals ein großes Plattenlabel bekanntgab, aus Gründen des Umwelt- und Klimaschutzes die Produktion von CDs einzustellen und Musik nur noch in Form von digitalen Dateien zu vertreiben.[3]

Was die Energiebilanz des Musikstreamings verheerend macht, ist jedoch weniger die für die Übermittlung einzelner Songs oder Alben benötigte Energie. Viel gravierender ist die Veränderung des Konsumverhaltens, das mit der unbegrenzten Verfügbarkeit von Musik einhergeht. Kyle Devine, der als Professor für Populärmusik an der Universität Oslo zur Ökobilanz von Musik forscht, erklärt: „Es geht nicht um den Eins-zu-eins-Vergleich zwischen dem Streamen oder dem Kauf eines Albums aufs CD. Es geht darum, dass sich Millionen von Menschen dazu entscheiden, permanent Millionen von Alben zu hören.“[4] Weil die kompletten Diskografien von unzähligen Künstlern für einen niedrigen Preis jederzeit zur Verfügung stehen, wird viel mehr Musik rezipiert als jemals zuvor. Während man früher nur einige wenige Alben am Tag hören konnte, starten heute viele Menschen mit einer Playlist in den Tag, zu der sie 17 Stunden später zu Bett gehen. Ökonomen kennen diesen Effekt als Jevons-Paradoxon: technischer Fortschritt erlaubt eine effizientere Nutzung eines Rohstoffes, wodurch der Preis sinkt, was wiederum zu einer erhöhten Nutzung dieses Rohstoffes führt – anstatt zu sinken, steigt der Verbrauch.

Noch mehr Energie als für die digitale Übertragung von Musik wird für Videodaten benötigt. Grundsätzlich ist das Videostreaming energieaufwendiger als lineares Fernsehen über Kabel oder Antenne, weil für jedes Endgerät ein eigener Datenstrom übers Netz geschickt wird. Nach aktuellen Schätzungen machen Videos 80 Prozent des weltweiten Datenverkehrs aus – YouTube, Pornos, Instagram und Live-Streams miteingerechnet. Einer Studie des französischen Thinktanks „Shift Project“ zufolge hat Videostreaming allein 2018 mehr als 300 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalente verursacht.[5] Das entspricht der Menge, die das gesamte Land Spanien in einem Jahr ausstößt. Bis 2025 könne sich diese Menge sogar noch verdoppeln, da die Nutzerzahlen von Streamingdiensten kontinuierlich ansteigen.

Was allerdings Hoffnung macht, ist die ebenso kontinuierlich zunehmende Effizienz der Technik. Datenübertragung über Glasfasernetze benötigt nur noch einen Bruchteil der Energie, die die Übertragung über das 3G-Netz erfordert hat. Auch Router, Laptops, Smartphones und Fernseher arbeiten immer effizienter. Zugleich nimmt der Anteil erneuerbarer Energien im Strommix zu, was den CO₂-Ausstoß reduziert. Die Ankündigung von Netflix, bereits bis Ende 2022 klimaneutral zu werden,[6] brachte dem Streamingdienst indes den Vorwurf des Greenwashings ein: zum einen werde der Großteil des Treibhausgas-Ausstoßes lediglich mit Klimakompensationsmaßnahmen beglichen und nur ein kleiner Teil durch Einsparungen erreicht. Zum anderen werde in der Berechnung der in den Haushalten anfallende Energieverbrauch nicht berücksichtigt.[7] Hier aber können wir ansetzen, denn wie wir unsere Serien und Filme konsumieren, wirkt sich direkt auf den Energieverbrauch aus. Da gilt etwa: je kleiner der Bildschirm, desto geringer der Stromverbrauch. Und wer eine Serie statt auf dem Fernseher auf dem Smartphone streamt, kann auch die Bildauflösung reduzieren, weil es mit dem bloßen Auge in diesem kleinen Format ohnehin nicht wahrnehmbar ist. Die Datenrate und damit der Stromverbrauch werden damit erheblich reduziert. Auch den Stream über WLAN statt über das Handynetz zu beziehen, spart Strom ein.[8] Beim Browsen im Internet können Adblocker und die Deaktivierung der Autoplay-Funktion bei YouTube den Datenverbrauch senken. Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass wir nicht nur mit der Art, wie wir uns ernähren, kleiden und fortbewegen, Einfluss auf das Klima nehmen. Auch die Nutzung von Technik und der Konsum immaterieller Güter spielen eine Rolle. Jede Videokonferenz, jede Google-Suche, jede verschickte Mail, jeder abgespielte YouTube-Clip und jeder gestreamte Song benötigen Energie und tragen zum CO₂-Ausstoß bei.
 

Autor

David Assmann studierte Mediendramaturgie in Mainz. Er arbeitet als freier Filmkritiker, Filmemacher und Filmwissenschaftler in Berlin, ist Mitglied des Auswahlgremiums für Kinder- und Jugendfilme bei der Berlinale und hauptamtlicher Prüfer bei der FSF.

[Bild: Privat]

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