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Vorsicht, unbewusst

Empfehlungen für die Gestaltung von Diversity in den Medien 1

Dr. Jens Förster

in: tv diskurs: 24. Jg., 2/2020 (Ausgabe 92); ergänzt um ein Interview von Medienradar, 08/2020

Minderheitenschutz und die Eliminierung von Diskriminierung sind die Basis für eine demokratische und humane Gesellschaft: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Erstaunlicherweise müssen Werte der Vielfalt („diversity standards“) immer wieder neu verhandelt werden, damit Menschen tatsächlich gleichbehandelt werden. Hatte ich im Jahr 2007 mit Erscheinen meines ersten Buches Kleine Einführung in das Schubladendenken noch gedacht, rassistische und sexistische Verhaltensweisen seien seit den 1990er‑Jahren spürbar weniger geworden, so erleben wir derzeit eine offene und sogar öffentliche Diskriminierung von Minderheiten, die nach einem ebenso offenen Diskurs aller öffentlichen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppen verlangt – auch in der Art und Weise der Mediengestaltung. Dazu ist ein Verständnis von unbewussten Diskriminierungsprozessen notwendig, die sowohl bei der Gestaltung als auch der Wirkung Einfluss haben können.

Um ein paar Beispiele zu geben: Noch vor zehn Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass ein Mann US-Präsident wird, der öffentlich Behinderte, Frauen, Latinos*Latinas und Afroamerikaner*innen beleidigt, dass Comedians wieder Witze über Randgruppen machen dürfen und Rapper*innen Frauen beleidigen, dass schwarze Fußballer*innen mit Affenlauten verhöhnt werden, Karnevalswagen antisemitische Inhalte transportieren, AfD-Politiker*innen das Dritte Reich als einen „Vogelschiss“ der Geschichte minimieren und dass prominente Frauen im Internet ungestraft mit üblen sexistischen Schimpfwörtern beleidigt werden.

Es scheint eine bemerkenswerte Verschiebung vom privaten Raum und „dem Stammtisch“ in den öffentlichen Raum gegeben zu haben. Waren in den Jahren zuvor Normen der politischen Korrektheit grundsätzlich als Wertekanon akzeptiert worden, so wird sich heute darüber lustig gemacht. Manchmal hat man gar den Eindruck, gängige soziale Normen seien nicht (mehr) bekannt: wenn Schüler*innen in sozialen Netzwerken vor aller Augen verspottet werden, allein weil sie in Verhalten und Aussehen bestimmten Standards nicht entsprechen, oder wenn Menschen etwa das Wort „behindert“ unbekümmert als Schimpfwort benutzen.

Kritisiert man solche Normverletzungen, wird man nicht selten belehrt, dass man so etwas in einem freien Land ja auch einmal sagen dürfen müsse. Nicht selten hört man auch, dass man keinen Humor verstehe oder dass man die Sprache der Jugend oder der Straße eben nicht (mehr) kenne. Wer sich diskriminiert fühlt, wird dann von Mitgliedern der Mehrheitsgruppen belehrt, dass dies nicht Diskriminierung sei.

In der Sozialpsychologie wird die ungleiche Behandlung aufgrund von Gruppenmitgliedschaft Diskriminierung genannt (vgl. Förster 2018). Mag man beispielsweise Mesut Özil nicht wegen seines Fußballspiels oder weil er komische Ansichten vertritt, muss das nicht Diskriminierung sein – wenn man ihn aber nicht mag, weil er Türke ist, liegt Diskriminierung vor. Dabei muss einem nicht bewusst sein, dass eine Abneigung eventuell auf die Gruppenzugehörigkeit zurückzuführen ist. Özil zitiert einen „Deutschland-Fan, der mir nach dem Spiel gegen Schweden gesagt hat: »Özil, verpiss dich, du scheiß Türkensau.«“[1] Dies ist offene Diskriminierung. Andere Fälle, wie z. B. die Wahl der H&M-Werbeabteilung, ausgerechnet einen schwarzen Jungen in ein T-Shirt mit dem Aufdruck „coolest monkey in the jungle“ zu stecken, während ein ähnliches Design mit dem Titel „survival expert“ einem weißen Jungen angezogen wurde, zeigen ebenfalls Diskriminierung – die aber vermutlich ohne Diskriminierungsabsicht erfolgte.

Unbewusste Diskriminierung wurde in Hunderten von Studien belegt (vgl. Förster 2020). Nach gängigen sozial-kognitiven Modellen erlernen wir Stereotype, wobei Lernen häufig auch implizit stattfindet. Wenn jemand häufig hört, dass Dicke lustig, aber faul, und Schwule kreativ, aber unmoralisch sind, speichert er*sie das im Gedächtnis automatisch ab, auch wenn er*sie das unfair oder falsch findet. Stereotype Assoziationen reflektieren gesellschaftlich vermittelte Wissensstrukturen, wobei – psychologisch gesprochen – „Wissen“ nicht „richtig“ sein muss, um verhaltensleitend zu sein (vgl. Förster 2007, S. 23). Diese manchmal ungewollt im Gedächtnis abgelagerten Assoziationen können zu unbewussten Diskriminierungen führen.

Die Forschung zeigt, dass amerikanische Studierende Wörter wie „aggressiv“ schneller lesen und erkennen können, dass sie andere negativer bewerten und dass sie Distanz zu ihnen suchen, wenn sie vorher an einen „Afroamerikaner“ gedacht haben (vgl. Devine 1989). Solche Effekte werden als unbewusst bezeichnet, weil sie selbst dann auftreten, wenn Proband*innen nicht rassistisch sind oder sein wollen.

Stereotype Assoziationen sind von (Sub‑)Kulturen abhängig. Hierzulande assoziiert man „alte Menschen“ z. B. mit „unattraktiv“, „vergesslich“ und „krank“, während man in asiatischen Kulturen bei „Alten“ eher an „aktive“, „weise“ und „kluge“ Menschen denkt (vgl. Levy/Langer 1994).

Fallen und Funktionen von Stereotypen

Stereotype Assoziationen sind die Basis für Diskriminierung und beeinflussen die Wahrnehmung, das Gedächtnis und das Verhalten. So übersehen Lehrpersonen Mädchen im Mathematikunterricht aufgrund der automatisch aktivierten stereotypen Netze (Assoziation: Mangel an analytischem Denken), erschießen amerikanische Polizist*innen eher schwarze Verdächtige (Assoziation: kriminell), erhalten homosexuelle Mitarbeitende zeitlich aufwendigere Arbeiten (Assoziation: kinderlos) und werden Frauen von Führungspositionen ausgeschlossen (Assoziation: zu emotional).

Stereotype behindern bewusst und unbewusst Teilhabechancen stigmatisierter Menschen. Diskriminierung führt bei ihren Opfern zu zahlreichen schädlichen Effekten wie Selbstwert- und Motivationsverlust, Stress, psychischen wie physischen Störungen und zu erhöhten Selbstmordraten. Da sich stereotype Assoziationen auch in den Gedächtnissen von Betroffenen ablagern, führen sie manchmal zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen. Mädchen rechnen schlechter, wenn sie sich vor Mathematiktests daran erinnern, dass sie Mädchen sind, Alte versagen in Gedächtnistests, wenn sie an ihr Alter erinnert werden, und Männer versagen in verbalen Aufgaben, wenn sie daran denken, dass sie ein Mann sind etc. (für weitere Beispiele siehe Förster 2020).

Reduktion und Kontrolle stereotyper Assoziationen

Stereotype sind schädlich, aber auch subjektiv hilfreiche Konstruktionen. Sie dienen der Orientierung, dem schnellen Erkennen von Gefahr und der Bestimmung der Identität (vgl. ebd., S. 96 ff.). Man kann sie nicht vollständig eliminieren – das Gedächtnis ist in Form von Netzwerken aufgebaut, deshalb werden zu sozialen Gruppen immer kulturell passende Assoziationen abgespeichert (vgl. Förster 2018, S. 114 ff.). Allerdings kann man versuchen, Assoziationen, die im Gedächtnis gespeichert wurden, durch solche zu ersetzen, die man auch bewusst vertreten möchte (vgl. Kawakami u. a. 2000).

Man kann sich immer dann, wenn einem spontan etwas Stereotypes einfällt (z. B.: „Männer sind kalt“), das Gegenteil ins Gedächtnis rufen (z. B.: „Männer sind warmherzig“). Zudem ist bekannt, dass der Kontakt mit Mitgliedern anderer Gruppen Stereotype verändert (vgl. Pettigrew/Tropp 2006). Kontakt führt zu einer individuellen Wahrnehmung einzelner Menschen und ermöglicht die Bildung von positiven stereotypen Assoziationen (aus: „Türken = gefährlich“ wird z. B.: „Türken = kinderlieb“) oder Differenzierungen (z. B.: „Nicht alle Türken sind gefährlich“).

Da Stereotype unbewusst aktiviert werden können, ist es jedoch nur teilweise möglich, alle diskriminierenden Verhaltensweisen zu kontrollieren. Dies würde eine ständige Achtsamkeit unter hohem kognitivem Aufwand erfordern, die nur bei wenigen Menschen immerzu vorhanden ist. Besser ist es, man lernt sie gar nicht erst. Wenn ein Stereotyp nicht mehr geäußert wird, wenn es in Bewertungen, Erzählungen und Witzen nicht mehr auftaucht und es „astereotype“ Rollenmodelle (z. B. Frauen in Führungspositionen) gibt, entstehen sie nicht oder verändern sich.

Anmerkung:

1. Mesut Özils Erklärung zu seinem Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft. In: Eurosport, 23.07.2018, https://www.eurosport.de/fussball/mesut-ozil-seine-zusammengefasste-erklarung_sto6859289/story.shtml (abgerufen am 19.08.2020).

Literatur:

Devine, P. G.: Stereotypes and Prejudice: Their Automatic and Controlled Components, in: Journal of Personality and Social Psychology, 1/1989/56, S. 5–18, https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2F0022-3514.56.1.5.

Förster, J.: Kleine Einführung in das Schubladendenken. Über Nutzen und Nachteil des Vorurteils, München 2007.

Förster, J.: Warum wir tun, was wir tun. Wie die Psychologie unseren Alltag bestimmt, München 2018.

Förster, J.: Schublade auf, Schublade zu. Die verheerende Macht der Vorurteile, München 2020.

Goethe-Universität Frankfurt: Handlungsempfehlungen für eine diversitätssensible Mediensprache, Frankfurt am Main 2016, https://www.uni-frankfurt.de/66760835/Diversitaetssensible-Mediensprache.pdf.

Kawakami, K. / Dovidio, J. F. / Moll, J. / Hermsen, S. / Russin, A.: Just Say No (to Stereotyping): Effects of Training in the Negation of Stereotypic Associations on Stereotype Activation, in: Journal of Personality and Social Psychology, 5/2000/78, S. 871–888, https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2F0022-3514.78.5.871..

Levy, B. / Langer, E.: Aging Free from Negative Stereotypes: Successful Memory in China and Among the American Deaf, in: Journal of Personality and Social Psychology, 6/1994/66, S. 989–997, https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2F0022-3514.66.6.989.

Pettigrew, T. F. / Tropp, L. R.: A Meta-Analytic Test of Intergroup Contact Theory, in: Journal of Personality and Social Psychology, 5/2006/90, S. 751–783, https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2F0022-3514.90.5.751.

Artikel von und Interview mit

Dr. Jens Förster ist Direktor des Systemischen Instituts für Positive Psychologie in Köln, Fachgruppensprecher für Alltagspsychologie der Deutschen Gesellschaft für Positiv-Psychologische Forschung (DGPPF), Gutachter bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), systemischer Coach, Therapeut, Supervisor und Lehrtherapeut (IF Weinheim), Buchautor, Schauspieler und Sänger.

[Bild: Ingo Peters]
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