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Mediengestaltung, Stereotype und Diversity

Empfehlungen für die Gestaltung von Diversity in den Medien 2

Dr. Jens Förster

in: tv diskurs: 24. Jg., 2/2020 (Ausgabe 92); ergänzt um ein Interview von Medienradar, 08/2020

Die Medien spielen sowohl beim Lernen als auch beim Verlernen von Stereotypen eine große Rolle. Viele Medienschaffende wollen an einer toleranten Gesellschaft mitwirken. Wie kann eine diversitätsgerechte Darstellung von Menschen unterschiedlicher Gruppierungen angesichts unbewusster Prozesse gelingen? Der Beitrag will wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für diversitygerechte Darstellungen von Minderheiten geben.

Empfehlungen für Medienschaffende

  • Nimm Dich ernst. Du kannst mehr bewirken, als Du denkst. Du kannst Stereotype schaffen, abbauen oder verändern.
  • Gib Minderheiten auf Bild- wie Textebene gleiche Chancen.
  • Wenn Du an Vielfalt interessiert bist, höre Minderheiten zu.
  • Kooperiere mit Lobbygruppen.
  • Entscheide, welche stereotypen Bilder Du produzieren willst und welche „astereotypen“.
  • Entscheide, welche Realität Du darstellen willst.
  • Zeige Minderheiten nicht nur in stereotypen Kontexten.
  • Vermeide Dramatisierungen genauso wie Glorifizierungen.
  • Prüfe auf der Bildebene Hierarchien, Agentschaften und Komplexität.
  • Schaffe parasoziale Kontakte.

Stereotype: oftmals falsch und leicht zu verstehen

Zunächst sollte betont werden, dass Stereotype ein schnelles Verständnis eines Zusammenhangs bieten. Will man beispielsweise sicherstellen, dass in Sekundenschnelle eine Familie auf einem Plakat erkannt wird, so würde man vermutlich das stereotype (weiße) Vater-Mutter-Kind-Schema bedienen. Noch deutlicher zu erkennen wäre dieser Prototyp, wenn er mit stereotypen Accessoires ausgestattet würde: Vater vor Auto, Mutter mit Einkaufstasche, Sohn mit Fußball, Tochter mit Puppe.

Auch in Filmen wählt man für den*die Arzt*Ärztin in der Nebenrolle gerne einen weißen Mann. Diskussionen mit Drehbuchautor*innen haben ergeben, dass es vom Plot ablenken könnte, würde man Diversity bis in die Nebenrollen hinein umzusetzen versuchen. So ziehe eine schwarze Ärztin, die nur zwei Minuten lang zu sehen ist, so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass man fälschlich denken könnte, sie sei ein Thema oder ein wichtiger Charakter. Stereotype sind schnell encodierbar, hinken aber der Realität oft hinterher. Wo finden sich noch weiße, deutsche, männliche Krankenhausärzte, und wie viele Familien leben tatsächlich gemäß Bilderbuchformaten? „Astereotype“ Darstellungen können manchmal Wirklichkeit besser abbilden – und könnten letztendlich das gängige Stereotyp im Gedächtnis „überschreiben“ (Förster/Nussbaum 2015).

Der Tatort: Der Mann, der lügt (2018) zeigt, wie unkompliziert Rollstuhlfahrende in einer Nebenrolle eingesetzt werden können. Zu sehen ist ein Rechtsanwalt, der Ermittlungen beobachtet und weder in jeder Tür hängen bleibt noch für die Paralympics trainiert.

Aktionen gegen Diskriminierung: Die Expertise liegt bei den Stigmatisierten

Nutzt man „astereotype“ Darstellungen, sei vor Übertreibungen gewarnt. Einige Lobbygruppen beklagen, dass ihre Mitglieder in den Medien entweder in der Opferrolle oder glorifiziert dargestellt werden. Ihr alltägliches Leben spiele sich dagegen zwischen den Extremen „Opferlamm“ und „Superkrüppel“ ab.

Kommunikation mit stigmatisierten Gruppen ist wichtig, um ein Verständnis für Sensibilitäten und Fakten zu gewinnen. Das gilt übrigens auch für die Frage, wie Gruppen zu bezeichnen sind. „Übergewichtige“ möchten in Deutschland als „Dicke“ bezeichnet werden, „Homosexuelle“ als „Schwule“ und „Lesben“, und „Sinti“ und „Roma“ wollen nicht mehr „Zigeuner*innen“ genannt werden. Eine Akzeptanz von Vielfalt drückt sich auch darin aus, dass Selbstbeschreibungen von Minderheiten ernst genommen werden.

Macht und Agentschaft: unbewusste Effekte

Stereotype Machtvorstellungen zeigen sich inhaltlich im Habitus und in Strukturen (Mann zeigt Frau den Weg; Hauptkommissar ist weiß, Assistentin Chinesin etc.).

Die unbewusste Vermittlung von Hierarchien, Machtstrukturen und Agentschaften (wer ist aktiv, wer passiv) geschieht oftmals auf der Bildebene. Als Beispiel sei der „Madonnenblick“ genannt, bei dem Frauen von unten nach oben schauen (Kamera: Aufsicht). Männer werden dagegen meist frontal oder aus Untersicht fotografiert. Solche Anordnungen manifestieren Vorstellungen von geschlechtsbedingten Machtstrukturen.

Weiterhin ist darauf zu achten, wer agiert und wer passiv präsentiert wird. Da wir in unserem Kulturkreis von links nach rechts lesen und Agentschaften häufig am Anfang des Satzes stehen (Ich gehe …), deuten Rezipient*innen links stehende Menschen häufig als Agent*in, während rechts stehenden Personen eine passive Rolle zugewiesen wird. Solche Anordnungen sind genauso regelmäßig wie unbewusst – über Jahrhunderte hinweg wurde z. B. auf religiösen Bildern Jesus links präsentiert (Suitner/Maass 2016).

Eine typische Situation betrifft die des männlichen Politikers, der eine Rede hält – z. B. an einem Wahlabend –, während neben ihm eine andächtig lächelnde Gattin steht. Politikergattinnen sollten sich überlegen, ob sie so passiv dargestellt werden wollen. Es ist auffallend, dass Gatten von Politikerinnen diese Beiwerk-Position weniger bedienen. Weiterhin sollte in Talkshows und in Filmen auf Redezeiten geachtet werden, damit sich gängige Klischees nicht festigen.

Aufmerksamkeit: Stigmatisierten Raum geben

Weiße, heterosexuelle, nicht behinderte, christliche Männer mittleren Alters der Mittelschicht sind in den Medien überproportional sichtbar, vor allem wenn sie leitende Funktionen oder Positionen haben. Hier kann Ausgleich geschaffen werden, indem Mitglieder stigmatisierter Gruppen mehr Aufmerksamkeit erhalten. Dies bedeutet, dass sie häufiger in ähnlichen Positionen vorkommen, mehr Zeit erhalten und häufiger im Zentrum stehen. Für filmische Medien kann man daraus ganz konkret Empfehlungen für Kameraeinstellungen ableiten: gleiche Einstellungsgröße, Tiefenschärfe, Referenzgröße, Sicht (Aufsicht, Untersicht), gleicher Ausschnitt.

Ausgleich schaffen: Binnenpluralität und Komplexität

Binnenpluralität bedeutet im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, dass nicht etwa eine einzelne Sendung die Vielfalt der Bevölkerung repräsentieren sollte, wohl aber das Gesamtprogramm. Übertragen auf Printmaterialien bedeutet es, dass sich Diversität nicht über einzelne Bilder, sondern über die Gesamtheit einer Einheit herstellt.

Weiße Deutsche werden häufig auch komplexer und vielfältiger präsentiert als Minderheitsmitglieder. Man findet sie in allerlei Outfits, in allen Altersstufen und Rollen, während schwarze Männer häufig in bestimmter Kleidung (Basecaps, Jogginghosen etc.), in einem bestimmten Alter (15–40 Jahre) und in bestimmten Rollen (Sport, Gesang etc.) präsentiert werden.

Parasozialer Kontakt

Kontakt reduziert Vorurteile auch durch virtuelle Begegnungen, wie sie im Internet und via Film und Fernsehen stattfinden.

Wer auf dem Schirm beobachtet, wie Menschen, denen wir uns ähnlich fühlen, Minderheiten, die wir wenig kennen, begegnen, ändert betreffende Stereotype. Studien zeigten (vgl. Schiappa u. a. 2007), dass der Konsum von mehreren Folgen von Six Feet Under mit dem schwulen David Fisher dauerhaft Vorurteile gegenüber Schwulen reduziert. Ähnliches dürfte geschehen, wenn sich Personen des öffentlichen Lebens outen. Coming-outs beispielsweise von Thomas Hitzlsperger und Anne Will sind in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen.

Zivilcourage

Es erfordert Mut, medial präsentierte Diskriminierung anzugehen. Johannes Kram (2018) hat homophobe Witze bei deutschen Comedians entlarvt und erntete neben Anerkennung auch Shit­storms. Dabei sind, psychologisch gesehen, durch Witze transportierte Stereotype genauso gefährlich wie ernst gemeinte, denn das Gedächtnis ist affirmativ, d. h., es speichert z. B. bei Blondinenwitzen nicht: „Blondinen sind blöd, aber das war ja nur ein Witz“, sondern schlichtweg: „Blondinen sind blöd“. Ähnliches gilt für das Mode-Schimpfwort „behindert“ – durch die Verwendung im Kontext der Abwertung entsteht eine negative Konnotation zu Menschen, die Unterstützungsbedarf haben, selbst wenn andere uns weismachen wollen, das sei doch nicht so gemeint. In unserer Gesellschaft sind Humor und „Kunst“ ein Freibrief für alle möglichen unsozialen Phänomene – man darf hier die Frage stellen: Warum eigentlich oder gilt das immer?

Längst gespeicherte Assoziationen können mittels Zivilcourage nicht ausradiert werden. Jedoch bestärkt solche Kritik diejenigen Menschen, die Vielfalt des Ausdrucks als Menschenrecht verstehen – selbst wenn auch sie nicht vermeiden können, dass in einer rassistischen und sexistischen Kultur entsprechende Assoziationen in ihrem Gedächtnis landen.

Zudem ist das Aufstehen gegen Ungerechtigkeiten der Startschuss aller oben genannten Interventionen und könnte dafür sorgen, dass wir irgendwann differenzierte Bilder von anderen im Kopf haben. Medienschaffende haben dabei eine machtvollere Rolle, als sie vermutlich glauben.

Zensur – Versuch eines Reframings

Viele dieser Hinweise könnten und werden von Kunstschaffenden als Zensur bewertet werden. Das ist nicht meine Idee. Aus meiner Perspektive sind dies Einladungen, eine humanere Gesellschaft zu schaffen und Vielfalt zu ermöglichen.

Literatur:

Förster, J. / Nussbaum, M.: Die Oma mit dem Häkeljäckchen. Möglichkeiten von Toleranz im Fernsehen, in: tv diskurs, Ausgabe 72, 2/2015, S. 36–39, https://tvdiskurs.de/beitrag/die-oma-mit-dem-haekeljaeckchen-moeglichkeiten-von-toleranz-im-fernsehen/.

Kram, J.: Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber …. Die schrecklich nette Homophobie in der Mitte der Gesellschaft, Berlin 2018.

Schiappa, E. / Allen, M. / Gregg, P. B.: Parasocial Relationships and Television: A Meta-Analysis of the Effects, in: R. W. Preiss / B. M. Gayle / N. Burrell / M. Allen / J. Bryant (Hrsg.): Mass Media Effects Research: Advances Through Meta-Analysis, Mahwah, NJ 2007, S. 301–314, https://www.academia.edu/2735309/Parasocial_relationships_and_television_A_meta-analysis_of_the_effects.

Schubert, T. W.: Your Highness: Vertical Positions as Perceptual Symbols of Power, in: Journal of Personality and Social Psychology, 1/2005/89, S. 1–21, https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2F0022-3514.89.1.1.

Suitner, C. / Maass, A.: Spatial Agency Bias: Representing People in Space, in: Advances in Experimental Social Psychology, 53/2016, S. 245–301, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S006526011500026X?via%3Dihub.

Artikel von und Interview mit

Dr. Jens Förster ist Direktor des Systemischen Instituts für Positive Psychologie in Köln, Fachgruppensprecher für Alltagspsychologie der Deutschen Gesellschaft für Positiv-Psychologische Forschung (DGPPF), Gutachter bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), systemischer Coach, Therapeut, Supervisor und Lehrtherapeut (IF Weinheim), Buchautor, Schauspieler und Sänger.

[Bild: Ingo Peters]
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