Artikel

Sichtbar und sicher

Über Genderdiversität in den Medien

David Bitter

Medienradar, 10/2023

Die Berücksichtigung von Genderdiversität in den Medien ist noch nicht zufriedenstellend. Obwohl queere und trans* Menschen allmählich sichtbarer werden, spiegeln Filme und Serien die vielfältige Realität bei Weitem nicht angemessen wider. Wenn Formate sich mit Geschlecht und Gendervielfalt beschäftigen, dann reproduzieren sie oft Stereotype und diskriminierende Narrative. Auch hinter der Kamera, in Filmcrews, Produktionsfirmen und anderen Medienbereichen fehlt es an queeren, trans* und nicht-binären Perspektiven. Wie können mediale Produktionen der Darstellung von Genderdiversität gerecht werden? Und welche Formate gehen als gute Beispiele voran?

Trans* Menschen gibt es schon lange und überall auf der Welt und immer mehr Menschen setzen sich heute dafür ein, dass sie sichtbarer werden. Doch trotz dieser Fortschritte bleiben Unverständnis, Ausgrenzung und Diskriminierung ein großer Teil ihrer Realität. [1] Diese Diskriminierung hat eine langjährige Geschichte und wird besonders von konservativen und rechten Politiker*innen instrumentalisiert, um Wähler*innen zu mobilisieren. In Diskursen über trans* Menschen wird ihnen häufig ein „Trend“-Verhalten vorgeworfen. Nicht selten wird ihnen gar die Verbreitung einer „Trans*-Ideologie“ unterstellt und somit bewusst und vorsätzlich ein Bedrohungsszenario aufgebaut, um Ängste und Hass in der Gesellschaft zu schüren. [2] Diese gezielt gestreuten Verzerrungen führen zu mehr Gewalt gegenüber trans* Menschen, wie die steigende Anzahl an weltweiten Diskriminierungen, Anfeindungen und körperlichen Übergriffen ihnen gegenüber belegen. [2]

Es kommt leider oft vor, dass geschlechtliche Vielfalt in den Medien tabuisiert wird – unter dem Vorwand, Kinder vor einer vermeintlichen „Frühsexualisierung“ oder „Indoktrination“ zu schützen. Kulturwissenschaftler*in und Autor*in Lydia Meyer erklärt in Die Zukunft ist nicht binär, dass es bei diesem Diskurs nicht wirklich um Kinderschutz geht, sondern darum, Aufklärung und Selbstbestimmung zu bekämpfen und die herkömmliche Vorstellung von Geschlechtern zu verteidigen. [3] Deswegen ist Gendervielfalt besonders für Kinder ein wichtiges Thema. Denn es geht um Identität, Akzeptanz und nicht zuletzt um die Aufklärung über körperliche und seelische Unversehrtheit. Diese Themen gehören in Filme, Serien und Bücher für Kinder, damit genderqueere, nicht-binäre und trans* Kinder und Jugendliche gesehen, verstanden und akzeptiert werden. [3]

Trans* Repräsentation

Nicht alle Menschen haben in ihrem persönlichen Umfeld Kontakt zu trans* Personen. Die meisten Informationen über trans* Personen erhalten viele aus den Medien. Wie negativ die Darstellung in den Medien sein kann, hat die Netflix-Dokumentation Disclosure: Hollywoods Bild von Transgender aufgearbeitet. Sie zeigt die problematischen Aspekte der Filmindustrie, die auf einem ganzen Jahrhundert transphober Film- und Fernsehgeschichte aufbauen und sich nur langsam ändern. [4] In der Dokumentation erklären Filmemacher*innen die schädlichen Auswirkungen von Formaten, die hauptsächlich aus der Perspektive von cis Menschen entwickelt wurden. Weiblich dargestellte Männer dienen als Witz, und trans* Personen bekommen vermittelt, etwas Verabscheuungswürdiges zu sein und Angst vor der Offenlegung der eigenen Trans*identität zu haben. [4] Ein bekanntes Beispiel dafür ist die 90er-Jahre-Komödie Ace Ventura – Ein tierischer Detektiv, in dem die Hauptfigur Ace sich übergeben muss, sobald er realisiert, dass er eine trans* Frau geküsst hat. [5]

Wie es um die Repräsentation von queeren Charakteren in Serien steht, lässt sich gut an der Studie Where We Are on TV der US-Organisation GLAAD erkennen. In der Saison 2022 bis 2023 zählte GLAAD insgesamt 596 LGBTQIA*-Figuren in Serien (das entspricht einem Anteil von 10,6 % aller Charaktere). Von diesen waren 32, die trans* (5,4 % aller LGBTQIA*-Figuren).

Es wurden 16 trans* Frauen, 11 trans* Männer und fünf nicht-binäre Figuren gezählt. Meist sind sie in Drama- oder Comedy-Serien zu finden. Fünf der berücksichtigten Serien wurden bereits abgesetzt, wodurch diese wichtigen Figuren verloren gegangen sind. Im Vergleich zum Vorjahr gab es zehn trans* Figuren weniger. Außerdem erwähnenswert: in diesem Jahr wurde erneut kein einziger trans* Charakter mit einer Behinderung dargestellt. [6] Die Repräsentation hält sich also in Grenzen und hat insgesamt abgenommen.

Mehr Sichtbarkeit, weniger Sicherheit?

Zum Trans Day of Visibility, dem Tag der Sichtbarkeit von trans*-, genderdiversen und nicht-binären Menschen, fordern Betroffene und Aktivist*innen mehr Sichtbarkeit und Sicherheit. Sichtbarkeit allein reicht für marginalisierte Menschen wie trans* Personen nicht aus. Denn in der Realität führt Sichtbarkeit im öffentlichen Raum oft dazu, dass sie demselben oder einem noch höheren Maß an Gewalt ausgesetzt sind. [7] Wenn Politik und Zivilgesellschaft tatsächlich gerechter sein wollen, müssen sie gezielt Maßnahmen für mehr Sicherheit von trans* Personen ergreifen. 

Das lässt sich auch auf die Darstellung von trans* Personen in den Medien übertragen: Repräsentation führt nicht automatisch zu mehr Sicherheit. Eine angemessene Darstellung kann aber helfen, queeren und trans* Identitäten die Selbstverständlichkeit zu verleihen, die ihnen gebührt. Dafür ist es aber nötig, Genderstereotype zu vermeiden und das gleichberechtigte Miteinander aller Geschlechteridentitäten in der Gesellschaft abzubilden. Erzählungen müssen sich zunehmend von dem auferlegten cis-heteronormativen Blick auf die Welt lösen und verschiedene Sichtweisen in den Mittelpunkt stellen. [8] Die Figuren brauchen verschiedenste Lebensrealitäten und Erzählstränge, in denen sie sich entwickeln können und – statt zu Witzfiguren – zu Vorbildern werden. Anstatt ein tragisches Schicksal zu erleiden und fetischisiert zu werden, sollten sie Freude und Selbstverwirklichung vorleben können.

Jenseits der Symbolik

Alok Vaid-Menon schildert im Buch Beyond the Gender Binary die Herausforderungen vor denen nicht-binäre Personen stehen, da sie in einer binären Geschlechterordnung aufwachsen. Vaid-Menon beschreibt, dass die Diskriminierung von nicht-binären Menschen auf einem System basiert, das Anpassung belohnt, statt Kreativität und Vielfalt. [9] Über eine lange Zeit wurde die Zweigeschlechterordnung auf alle Medien angewandt. Diese gilt es grundlegend aufzubrechen. Ob Figuren in Dramen, Komödien und anderen Genres: die Charakterzeichnungen sollten divers sein und die Lebensrealitäten von trans* und nicht-binären Personen aufgreifen. Dabei sollten sie auch als Außerirdische, Roboter und Fabelwesen in Science-Fiction-Formaten und Animes vorkommen können, aber nicht primär und nicht im Sinne eines – im Gegensatz zu cis* Identitäten – Fremdartigen. [10] Trans*sein war lange höchstens im Subtext von Geschichten zu finden, etwa in Symboliken körperlicher Transformation. [11] Da trans* Menschen wie cis Frauen und cis Männer unbestreitbarer Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit sind, ist es Zeit, sie in all ihren Facetten explizit zu zeigen. Insbesondere in Zeiten, in denen ihre Rechte zur Debatte gestellt werden.

Wie geht es besser?

Auf den Streaming-Plattformen konnte man in den letzten Jahren den Erfolg von Serien beobachten, die mit LGBTQIA*-Geschichten neue Wege beschritten. Zu nennen sind Serien wie Pose, Sense8, Orange Is the New Black, Sex Education, Queer Eye und The Umbrella Academy.

Die Serie Pose handelt von der Ballroom-Szene im New York der 1980er Jahre, von einer Subkultur der LGBTQIA*-Community, die nach wie vor künstlerische Wettbewerbe organisiert und zu großen Teilen aus BIPOC und Transgender-Personen besteht. Vier Schwarze trans* Personen stehen im Zentrum der Erzählung. Die Serie thematisiert die Mehrfach-Diskriminierung, die Schwarze und BIPOC trans* Frauen durch Rassismus, Sexismus und Transfeindlichkeit erfahren. Statt Stereotype zu bedienen, begleitet die Serie die Figuren durch empowernde Momente und gibt ihnen „Queer Joy“ – Freude, die queere Personen erleben, wenn sie glücklich, in einem „Safe Space“ oder Teil einer unterstützenden Gemeinschaft sind [12]. Ein Monolog der Protagonistin Elektra sticht besonders heraus. Als sie in einem schicken Restaurant von einer wohlhabenden weißen Frau herabgewürdigt und beschimpft wird, reagiert sie selbstbewusst und fordert gebührenden Respekt ein.

Wie geht es weiter?

Soziale Medien haben in vielerlei Hinsicht die Gestaltung von Medien demokratisiert. Mehr Menschen teilen ihre eigenen Geschichten und beeinflussen die Inhalte, die wir sehen. Auch LGBTQIA*-Autor*innen kommen häufiger zu Wort. Das hat der Repräsentation einer vielfältigen Gesellschaft geholfen. Mehr und mehr Formate geben trans* Menschen eine Plattform und klären über Themen rund um Genderdiversität auf, zum Beispiel Auf Klo von funk.

Eine selbstverständliche, vielschichtige und positive mediale Darstellung ist entscheidend dafür, dass trans*, inter* und nicht-binäre Menschen sich als vollwertiger Teil der Gesellschaft wahrnehmen und als solcher wahrgenommen werden. Geschichten sollten ihnen Identifikationsfiguren bieten und ein positives Selbstwertgefühlefühl fördern. Trans* Figuren lediglich als „Token“ einzusetzen, also als eindimensionalen Platzhalter, der nur die Funktion hat, Diversität als Kriterium einer Geschichte zu erfüllen, wird ihnen nicht gerecht. 

Natürlich ist es weiterhin wichtig, Diskriminierungserfahrungen von trans* Personen zu thematisieren. Um die Diskriminierung aber nicht einfach zu reproduzieren, hilft es, in der Erzählung eine Metaebene anzusprechen. Zum Beispiel könnte ein Witz, der sich auf Diskriminierung bezieht, auch als diskriminierend entlarvt werden. Auf diese Weise kann Diskriminierung durch Geschichten hinterfragt, parodiert und aufgearbeitet werden, ohne dass Zuschauer*innen sie selbst aufdecken können müssen. Die nächste Herausforderung für Repräsentation von Gendervielfalt in den Medien ist es, mehr Formate über und mit trans* Menschen zu produzieren, abseits eines tradierten homogenen Gesellschaftsbildes. Rassismus, Ableismus, Fatphobia, Klassismus und weitere Diskriminierungsformen gehören für viele Menschen zum Alltag. Wer menschliche Geschichten erzählen möchte, sollte die Realitäten von möglichst vielen Menschen einbeziehen.
 

1bpb:Geschlechtliche Vielfalt - trans*, in: bpb vom 22.03.2017, www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/geschlechtliche-vielfalt-trans/ (abgerufen am 31.08.2023)

2Heinrich-Böll-Stifung Hessen: Gewalt gegen trans* Personen: Wie gehen wir mit antifeministischen und transfeindlichen Diskursen um?, in: Heinrich-Böll-Stiftung Hessen e.V. vom 30.03.2023, https://www.boell-hessen.de/gewalt-gegen-trans-personen-wie-gehen-wir-mit-antifeministischen-und-transfeindlichen-diskursen-um/ (abgerufen am 31.08.2023)

3Meyer, L.: Die Zukunft ist nicht binär. Hamburg 2023, S. 69-77

4Dahmer, L.: Netflix-Doku Disclosure – Disclosure: Warum sich die mediale Repräsentation von trans Menschen ändern muss, in: ze.tt vom 22.07.2023, www.zeit.de/zett/queeres-leben/2020-07/disclosure-warum-sich-die-mediale-repraesentation-von-trans-menschen-aendern-muss​​​​​​​​​​​​​​ (abgerufen am 31.08.2023)

5Lily Simpson: The Worst Moment in Trans Film History | Ace Ventura: Pet Detective, in: Lily Simpson, YouTube vom 09.08.2023, www.youtube.com/watch?v=2Qk3J6ZH1A8 (abgerufen am 31.08.2023)

6GLAAD:Where We Are on TV – Report 2022-2023, in: Glaad, https://glaad.org/whereweareontv22/ (abgerufen am 31.08.2023)

7Lane, S.: Trans Day of Visibility 2023: How do we balance visibility with safety when trans lives are still under attack?, in: LinkedIn vom 31.03.2023, https://www.linkedin.com/pulse/trans-day-visibility-how-do-we-balance-safety-stevie-lane/ (abgerufen am 31.08.2023)

8Still Watching Netflix: Why I Made Disclosure | The Story Behind The Netflix Documentary, in: Still Watching Netflix, Youtube vom 02.07.2020,www.youtube.com/watch?v=WGaTwxS92hw (abgerufen am 31.08.2023)

9. Vaid-Menon, A.: Beyond the Gender Binary. New York 2020, S. 27

10Prevas, C.: We Need More Non-Binary Characters Who Aren’t Aliens, Robots, or Monsters, in: ELECTRIC LIT vom 09.05.2018, https://electricliterature.com/we-need-more-non-binary-characters-who-arent-aliens-robots-or-monsters/ (abgerufen am 31.08.2023)

11Anders, C. J.: Trans Subtext Can Be Powerful. Trans Characters Are Even Better, in: them vom 08.08.2023, www.them.us/story/charlie-jane-anders-trans-characters-subtext-metaphors (abgerufen am 31.08.2023)

12Fischer, A.: Queer Joy – warum wir mehr queere Freude und Repräsentation in Filmen und im Leben brauchen, in: im gegenteil vom 20.10.2023, https://imgegenteil.de/blog/queer-joy-warum-wir-mehr-queere-freude-und-repraesentation-in-filmen-und-im-leben-brauchen/ (abgerufen am 31.08.2023)

Autor

David Bitter studierte Kommunikationsdesign in Krefeld und Medienpsychologie in Berlin. Seit 2023 unterstützt er die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen als freier Redakteur. Besonders am Herzen liegen ihm Themen rund um Popkultur und Medien sowie soziale Gerechtigkeit, Antidiskriminierung, Klimagerechtigkeit, Inklusion und Vielfalt. Nebenbei ist er als freiberuflicher Redakteur und Konzepter tätig.

[Bild: privat]