Welchen Preis hat Privatsphäre?
Neue Erkenntnisse der Forschung zur Privatsphäre
CC BY-NC-ND 3.0 DE/Dr. Nicola Jentzsch für bpb.de, 03/2014
Unternehmen können heutzutage große Mengen persönlicher Daten ihrer Kunden verarbeiten. Diese Datenmengen ermöglichen es, den einzelnen Kunden besser zu verstehen und sein Verhalten zu prognostizieren. Beispiele hierfür finden sich in der Finanzbranche, der Telekommunikation oder bei Internet Service Providern. Die Kunden wissen allerdings oftmals nicht, was mit ihren Daten geschieht, denn sie lesen das Kleingedruckte in den Geschäftsverträgen oder den Allgemeinen Geschäftsbedienungen nicht. Stattdessen geben sie oftmals bereitwillig eine Vielfalt persönlicher Daten an, um in den Genuss scheinbar kostenloser Dienste wie Suchmaschinen, sozialer Netze oder Apps zu gelangen. Umsonst ist aber so gut wie nichts in der Privatwirtschaft. Deshalb befasst sich in der Wirtschaftswissenschaft bereits ein Forschungszweig mit der Ökonomie der Privatsphäre. Eine der Hauptfragen ist, ob Privatsphäre einen Preis hat und wenn ja, welchen. Die hinlängliche Annahme, dass Menschen heute ihre Privatsphäre nichts mehr wert ist, ist allerdings falsch.
Persönliche Information: Das eigentümlich Gut
Zu welchem Preis tauschen Sie tagtäglich Ihre persönlichen Daten? Diese Frage können die meisten nicht beantworten, obwohl ihre Datenprofile heute gehandelt werden wie Autos oder Waschmaschinen. Aber der Datenhandel unterliegt nicht nur grundsätzlich anderen gesetzlichen Bestimmungen (nämlich dem Bundesdatenschutzgesetz), bei persönlichen Daten handelt es sich auch um ein sehr eigentümliches Wirtschaftsgut. Datenprofile sind nicht gleichzusetzen mit Autos oder Waschmaschinen. Persönliche Profile bestehen aus Informationen wie Name, Geschlecht, Geburtsdatum und Adresse, sowie Transaktionsdaten (zum Beispiel Kontobewegungen bei Banken oder Kommunikations- und Bewegungsprofilen bei Telekom-Unternehmen). Drei Eigenschaften unterscheiden sie von herkömmlichen Gütern: Nicht-Rivalität und Nicht-Ausschließbarkeit im Konsum sowie Externalitäten. Wenn eine Person beispielsweise Informationen hat, kann sie diese an eine andere Person weitergeben, ohne dass diese einen verminderten Informationsgehalt erhält (die sogenannte Nicht-Rivalität im Konsum). Im Gegensatz dazu kann jemand, der ein Brot gegessen hat, dieses nicht an eine andere Person weitergeben: er hat es verbraucht (Rivalität im Konsum).
Es ist zudem schwer, andere vom Gebrauch von Informationen auszuschließen. Die tagtäglichen Nachrichten zu Hackerangriffen oder Unternehmensskandalen zeigen dies. So sammelte Google 2011 in Deutschland neben StreetView-Bildern auch WLAN-Daten. Apple benutzte eine Standardort-Protokollierung auf dem iPhone, die sich nicht abschalten ließ. Persönliche Daten müssen durch Verschlüsselung oder anderweitig abgesichert werden, damit ein anderer ihrer nicht habhaft wird. Digitale Daten lassen sich außerdem theoretisch unendlich oft kopieren, es besteht keine natürliche Knappheit. Letzteres ist auch der Grund, warum sich persönliche Daten nie zu einer "neuen Währung" entwickeln werden, denn sie sind nicht knapp. Wenn es keine natürliche Knappheit gibt, wird die Preissetzung für solch ein Gut schwierig.
Und schließlich bestehen sogenannte Externalitäten. Dabei handelt es sich um Auswirkungen für die keine Ausgleichzahlungen zwischen Marktparteien fließen. Gibt beispielsweise jemand seinen Namen, sein Geburtsdatum und seine Adresse an, kann aus diesen Daten üblicherweise auch Nationalität und potentielles Durchschnittseinkommen abgelesen werden. Gleichzeitig können diese Daten für viele verschiedene Zwecke benutzt werden: zur personalisierter Preissetzung ebenso wie zu politischen Überwachung durch einen Geheimdienst. Dies ist ein Risiko, das viele Verbraucher, aber auch Firmen, nicht in ihre Entscheidungen einbeziehen, wobei der NSA-Skandal hier den ein oder anderen vielleicht mehr sensibilisiert hat.
Diese Eigenschaften und die vielen Gelegenheiten, bei denen Verbraucher ihre Daten angeben, machen das Gut "Datenprofil" zu einem besonders attraktiven Forschungsgegenstand. Persönliche Daten geben die Identität preis und rufen beim Betroffenen interessante psychologische Effekte hervor. Identifikation wirkt sich also stark auf das ökonomische Handeln von Personen aus: sie handeln anders, wenn sie wissen, dass sie sicher identifiziert wurden. Der Identifikationseffekt wird in der Zukunft in der Wirtschaftswissenschaft immer wichtiger werden, schlicht weil Unternehmen immer mehr Daten über Personen sammeln und auswerten.
Menschen tauschen ihre Daten: Konditionen oft unbekannt
Zu welchen Konditionen man seine Daten tauscht, ist dem Einzelnen oft unbekannt. Es interessiert sie oder ihn vielleicht auch nicht. Wer nicht weiß, was mit seinen Daten gemacht wird, findet es vielleicht gut, sich keine Gedanken darüber machen zu müssen. Viele Kaufentscheidungen sind bereits kompliziert genug. Das Hauptinteresse liegt schließlich auf dem Produkt, welches man erwerben möchte. Es gibt sehr unterschiedliche Transaktionen, die auch in der Forschung voneinander getrennt werden müssen: Informationstransaktion ohne Fokus auf Informationstausch: Tagtäglich suchen Millionen von Internet-Nutzern über Google und andere Suchmaschinen Begriffe, die sie interessieren. Sie tauschen ihre IP-Nummer und andere Daten (bspw. Namen, wenn man sich selbst googelt) gegen die Nutzung der Suchmaschine. Es wandern also Informationen hin und her. Was Google mit diesen Daten macht, bleibt dem Nutzer oft verschlossen, weil er das Datenschutz-Versprechen des Unternehmens[1] nicht liest. Und selbst wenn er es lesen würde, blieben viele Fragen offen und schließlich verändert Google von Zeit zu Zeit diese Bedingungen.
Informationstransaktion mit Fokus auf Informationstausch: Wenn ein Umfrage-Unternehmen anruft, geben manche Menschen bereitwillig Auskunft. Hier liegt das Hauptaugenmerk auf der Umfrage. Zwar wird in dieser meist Anonymität zugesichert, da das Unternehmen die Zielperson aber angerufen hat, ist diese grundsätzlich identifizierbar. In dieser Situation ist der Auskunft gebenden Person sehr klar, welche persönlichen Auskünfte sie gegeben hat. Es wandern nur Informationen an das Umfrageunternehmen, es werden keine Produkte verkauft. Kombinierte Transaktion ohne Fokus auf Informationstausch: Menschen, die im Internet bei Händlern wie Amazon, Otto oder Zalando bestellen, interessieren sich meistens nur für die Ware, die sie kaufen wollen. Für sie spielt keine Rolle, was sie direkt oder indirekt mit ihrer Suche preisgeben. Auch welches Profil entsteht, wenn sie über viele Jahre beim selben Händler kaufen, bleibt für sie im Dunkeln, da sie die Daten nie als vollständiges kompiliertes Profil sehen.
Kombinierte Transaktion mit Fokus auf Informationstausch: Menschen, die versuchen, bei einer Bank einen Kredit aufzunehmen, müssen meistens eine Bankabfrage bei der Kreditauskunftei Schufa (oder anderen Auskunfteien)[2] erlauben. Diese Erlaubnis, eine Ausnahme aus dem Bankengeheimnis, muss als Klausel unterschrieben werden. Dies ruft vielen Betroffenen den Datenaustausch ins Bewusstsein.
Die Beispiele zeigen, dass das Hauptaugenmerk einer Person oft nicht auf den Daten liegt, die preisgegeben werden. So können kaum gute Konditionen für den Datentausch ausgehandelt werden. Und selbst wenn, was wäre ein angemessener Preis für das eigene Datenprofil? Hier muss die Forschung Mechanismen für Verbraucher entwickeln, die angemessene Preise und Konditionen für ihre Datenprofile zu finden und zu setzen. Ökonomische Experimente können dabei helfen.
Identifizierung und ökonomisches Verhalten im Experiment
In den vergangenen Jahrzehnten führt man in der Wirtschaftswissenschaft zunehmend Experimente mit realen Personen im Labor oder Feld durch. Diese Vorgehensweise erlaubt besser fundierte Aussagen über Verhaltensweisen, die oft stark von theoretischen Modellen abweichen. Den Teilnehmern an einem Experiment, den sogenannten Probanden, wird am Computer eine Entscheidungssituation vorgesetzt. Sie agieren und erhalten je nach Entscheidung reale Auszahlungen. Danach kann auf Basis der Labor-Daten untersucht werden, wie sich Probanden entschieden haben. Dies erlaubt Kausalitätsrückschlüsse, z.B. ob die Identifizierung der Person eine Auswirkung auf ihr ökonomisches Verhalten hatte.
Ein Beispiel für solche Entscheidungssituationen ist das Diktatorspiel. Bei diesem Spiel handelt es sich um eine Entscheidungssituation, bei welcher ein Proband (der Diktator) einen Geldbetrag bekommt, den er mit einer anderen (anonymen oder identifizierten) Person teilen kann. Diese Person muss den zugeteilten Geldbetrag akzeptieren. Beide bekommen dann die realen Auszahlungen. Durch Identifizierung (d.h. bloßes Anschauen oder Angabe von Namen und weiteren persönlichen Informationen) erhöht sich der Anteil, welcher der Diktator dem anderen überlässt, verglichen mit der Situation unter totaler Anonymität. Je mehr die andere Person von sich preisgibt, desto stärker wird der Effekt.[3] Dies ist insofern überraschend, als dass der Diktator der anderen Person keinen höheren Betrag zuteilen müsste, denn er bleibt anonym und hat keine Konsequenzen zu fürchten.
Es reicht im Übrigen auch schon ein Paar Augen auf dem Computerbildschirm zu platzieren da sich Probanden dann beobachtet fühlen.[4] In Öffentliche-Güter-Spielen wiederum verändert sich der Beitrag, den identifizierte Personen leisten.[5] Bei diesen Spielen können Probanden darüber entscheiden, welchen Beitrag sie in einen Topf bezahlen, der dann am Ende des Experiments vervielfacht zu gleichen Teilen allen ausgeschüttet wird. Spieler, die keinen Beitrag geleistet haben, erhalten also auch einen Anteil. Wird die Anonymität aufgehoben, dann ruft dies sozialeres Verhalten hervor, die Beiträge in den Topf erhöhen sich und gleichen sich mehr an. Das Verhalten der Probanden wird konformer.
Diese Experimente sind die Ausgangsbasis für die neuere Forschung zu Privatsphäre. So stimmt es hinlänglich nicht, dass Menschen ihre Privatsphäre nichts wert ist. In einer Serie von fünf Experimenten zusammen mit Koautoren[6], ließ sich feststellen, dass es immer einen signifikanten Anteil von Personen gibt, die einen Aufpreis zahlen, um Daten nicht preisgeben zu müssen. Für verifizierbare negative Informationen über eine Person, verlangt diese einen höheren Preis.
In diesen Experimenten ist der Preissetzungs-Mechanismus sehr unterschiedlich: entweder bekamen die Probanden für ihre Daten einen Preisnachlass, den sie akzeptierten oder nicht (ein sogenanntes Take-it-or-leave-it-offer), oder sie mussten selbst einen Preis für den Verkauf ihres Datenprofils wählen (umgekehrte Zweitpreis-Auktion). Wichtig ist, dass in diesen Experimenten die Teilnehmer nicht lügen konnten oder ihre Daten anders darstellen konnten, da ihre Daten überprüft wurden. Dies unterscheidet sich insbesondere von freiwilligen Angaben im Internet (z.B. bei FaceBook). Die Experimente sagen deshalb auch nichts über Lügen, Flunkern oder positive Selbstdarstellung im Internet aus.
Zusammengenommen lassen sich verschiedene Dinge aus den ökonomischen Experimenten lernen: Erstens, die Identifizierung von Probanden hat eine große Auswirkung auf ihr ökonomisches Verhalten. Zweitens, Identifikation erhöht Konformität im Verhalten, induziert aber auch sozialeres Verhalten (es wird mehr gespendet). Und drittens, für negative Informationen, verbunden mit dem realen Namen einer Person, verlangt diese im Schnitt einen höheren Preis. Privatsphäre ist also Personen etwas wert, selbst wenn es sich nur um ökonomische Experimente im Labor handelt. Dies lässt sich sogar unter Bedingungen feststellen, bei denen Teilnehmern klar ist, dass sie an einem Experiment teilnehmen.[7]
Der exakte Preis jedoch hängt vom Kontext der Datenpreisgabe ab, dem Inhalt der persönlichen Informationen und dem Vertrauen der preisgebenden Person in den Transaktionspartner. Und schließlich haben Möglichkeiten des Lügens, der Verstellung und des Pseudonymisierens einen großen Einfluss auf Preisgabe und Preissetzung. Sind letztere gegeben, findet man häufig das Resultat, dass Menschen ihre Privatsphäre scheinbar nichts wert ist. Wettbewerb und Privatsphäre: Erosion oder immer bessere Produkte?
Verbraucherverhalten und die Suche nach dem richtigen Preis für das eigene Datenprofil ist das eine. Preissetzung auf Seiten der Unternehmen das andere. Hier geht es um die Frage, wie das zunehmend präzisere Wissen über Kunden und Kundenverhalten den Wettbewerb zwischen Unternehmen verändert. Kundendaten erlauben Profilbildung und/oder Verhaltensprognosen und bilden damit die Grundlage von Produktpersonalisierung und Preisdiskriminierung. Produktpersonalisierung erlaubt einen immer genaueren Zuschnitt des Produktes (oder der Dienstleistung) auf den Verbraucher. Grundlage hierzu sind persönliche Daten. Wenn bspw. ein Zeitungsleser online fast ausschließlich Politik- und Wirtschaftsnachrichten liest, wird man ihm wohl kaum erfolgreich Klatschpresse anbieten. Je besser eine Firma die Bedürfnisse des Kunden kennt und befriedigen kann, desto besser kann sie ihn gegen Konkurrenz verteidigen.
Personalisierung verändert die Preissetzung der Unternehmen. So können sie zum Beispiel für Kunden, deren Wechselkosten durch Personalisierung steigen, höhere Preise setzen, ohne diese an die Konkurrenz zu verlieren. Der Kunde gibt also mit seinen Daten einen Teil seiner Entscheidungssouveränität in der Zukunft ab. Dies ist eine Tatsache, der sich die meisten nicht bewusst sind. Damit ein Wettbewerber ein vergleichbares Produkt anbieten kann, braucht die Daten des Kunden. Dies weiß jeder, der schon einmal zu einer Suchmaschine wechseln wollte, die nicht wie Google die Suche personalisiert.
Preisdiskriminierung bedeutet, dass für Kunden, die unterschiedliche Finanzkraft und Präferenzen haben, unterschiedliche Preise gesetzt werden können. In der Vergangenheit haben Unternehmen größtenteils nur Gruppen unterschieden (d.h. diskriminiert). So hat ein US-Reiseunternehmen zugegeben, dass es Nutzern von Apple-Computern teurere Hotelzimmer anbietet.[8] Heutzutage lernt aber ein Unternehmen jeden einzelnen Kunden besser kennen. Daher kann es im Extremfall nicht nur personalisierte Produkte anbieten sondern auch personalisierte Preise setzen. In der Theorie ist letzteres wiederum gut für Kunden: denn nun ‚kämpfen’ die Unternehmen intensiv um jeden einzelnen. Derzeit lassen sich aus der ökonomischen Theorie zu dem Thema leider keine allgemeinen Regeln ableiten, was die Konsumentenwohlfahrt angeht. Dies hängt stark von den einzelnen Annahmen in den Modellen ab.
Fazit
Auch wenn sich derzeit kein exakter Preis der Privatsphäre bestimmen lässt, zeigen Experimente, dass es immer einen Teil von Personen gibt, die einen Preisnachlass für ihre Daten nicht akzeptieren oder einen höheren Preis wollen. Dies klärt aber nicht die grundsätzliche Frage, ob persönliche Information tatsächlich so etwas wie ein Wirtschaftsgut sein kann und wenn ja, wem die Daten dann gehören. Dies ist nicht nur eine philosophische Frage über Identitätsbestimmung und Entscheidungsfreiheit, sondern auch eine juristische Frage, die große Bedeutung für unsere digitale Zukunft hat.
1. Google-Datenschutz Versprechen: google.de/intl/de/policies/?fg=1
3. Hoffman et al. 1994, 1996; Bohnet and Frey (1997,1999); Charness and Gneezy (2008); Jenni and Loewenstein (1997)
4. Haley and Fessler (2005)
5. List et al. 2004; Levitt and List 2007.
6. Feri, Giannetti and Jentzsch (2012); Jentzsch, Harasser and Preibusch (2011) und Jentzsch and Preibusch (2014) und Jentzsch (2014).
7. Es gehört zu den Regeln, dass Probanden die Forschungsfrage des Experiments nicht kennen. Sie kennen aber den Ablauf des Experimentes und wissen genau, wie sie ihre Auszahlungen maximieren könnten.
Dr. Nicola Jentzsch ist Ökonomin und leitet den Bereich Datenökonomie beim Think Tank „Stiftung Neue Verantwortung“ in Berlin.