Artikel

Mit Empathie gegen das Vergessen

Darstellungen der NS-Verbrechen und des Holocaust im Film

Uwe Breitenborn

Medienradar

Unbestreitbar spielen Filme eine wichtige Rolle in der Erinnerungskultur. Wer über Film- und Fernsehproduktionen nachdenkt, die einen gravierenden Einfluss auf den hiesigen Diskurs über NS-Verbrechen hatten, wird wohl zuerst an die Ausstrahlung der US-Serie Holocaust: Die Geschichte der Familie Weiss (1979) denken. Sie gilt als medien- und erinnerungsgeschichtliche Zäsur in der Bundesrepublik und ist zweifellos das prominenteste Beispiel in einer langen Reihe von Filmproduktionen. Alle verbindet der Versuch, das Publikum mit dem Grauen der NS-Zeit zu konfrontieren und das Geschehen so darzustellen, dass die Rezipienten mit den Opfern mitfühlen, Geschichte verstehen und im besten Falle etwas daraus lernen können. Die filmischen Ansätze und Perspektiven, ob dokumentarisch oder fiktional, sind verschieden und änderten sich im Laufe der Jahrzehnte. Der folgende Text gibt einen kurzen Überblick über filmische „Stolpersteine“, die im schulischen Umfeld, im Bereich der politischen Bildung, aber auch in der Medienbildung aufklärerische Impulse setzen können.

Das Thema der filmischen Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen spielt im pädagogischen Kontext seit jeher eine große Rolle und ist mehrfach ausführlich dargelegt worden. Einen umfassenden und empfehlenswerten Überblick gibt Frank Böschs Abhandlung Film, NS-Vergangenheit und Geschichtswissenschaft. Von ‚Holocaust‘ zu ‚Der Untergang‘ (Bösch 2023), der auf der Webseite der Bundeszentrale für Politische Bildung zugänglich ist. Er analysiert entlang von rund vierzig Spielfilmen und Fernsehserien zum Nationalsozialismus Entwicklungslinien der letzten Jahrzehnte und benennt verschiedene Phasen. Die nachfolgende Darlegung greift punktuell diese Analyse auf und erinnert an einige weitere Filmbeispiele, die im Diskurs ebenso bedeutsam (gewesen) sind. Angesichts der Fülle an publikumswirksamen Filmproduktionen in diesem Themenfeld kann hier kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden.

Konfrontation

Als die Alliierten 1944/45 die ersten Konzentrationslager erreichten, bot sich ihnen ein Bild unvorstellbaren Grauens. Von Anbeginn waren Filmtrupps dabei und dokumentierten die Zustände. So entstanden drastische Aufnahmen, die in unverstellter Weise zeigen, wozu Menschen im Nazireich fähig waren. An der Aufbereitung des Materials zu dokumentarischen Filmen waren unter anderem Regiegrößen wie Billy Wilder und Alfred Hitchcock beteiligt. Das zeigt, welches Gewicht die Alliierten den Filmdokumenten beimaßen. Die Dokumentationen sollten den Deutschen die Augen öffnen, über die ungeheuren Verbrechen in den Lagern aufklären und pädagogisch wirken. Nicht zuletzt sollten sie aber auch als Beweismaterial in anstehenden Kriegsverbrecherprozessen dienen.

Die Todesmühlen (Death Mills) (1945)
war der erste unmittelbar nach der Befreiung produzierte Dokumentarfilm über die Konzentrationslager, Regie führte Hanuš Burger, unterstützt von Billy Wilder. Der US-Film dokumentiert in eindringlichen Bildern die erschütternden Folgen der Gräueltaten, die die Alliierten nach der Befreiung in den Konzentrationslagern entdeckten. Er wurde gezielt für ein deutsches Publikum produziert, um die Bevölkerung mit den Verbrechen des NS-Regimes zu konfrontieren und einen Beitrag zur Umerziehung zu leisten. Als wichtiger Bestandteil des sogenannten Reeducation-Programms der Alliierten spielte der Film eine zentrale Rolle bei der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.

Authentizität

Viele dokumentarische Filme über die NS-Verbrechen legen großen Wert auf eine sachliche und möglichst authentische Darstellung der historischen Realität. Zeitzeugen-Interviews oder die persönlichen Erfahrungen der Filmproduzenten verleihen diesen Produktionen eine besondere Authentizität, die bis heute eine beeindruckende Wirkmächtigkeit entfaltet. Diese Filme tragen nicht nur zur historischen Aufklärung bei, sondern stärken ein tiefgreifendes Bewusstsein für die Schrecken des Holocaust.

Nacht und Nebel (Nuit et brouillard) (1956)
von Alain Resnais gilt als eines der bedeutendsten Werke in diesem Genre/Kontext. Der französische Dokumentarfilm kombiniert Filmmaterial unterschiedlicher Herkunft (unter anderem Archivbilder der Alliierten von der Befreiung der Konzentrationslager) mit ruhigen, aber besonders eindringlichen Aufnahmen der verlassenen Lager in den 50er-Jahren. Ergänzt werden diese durch einen bewegenden Kommentar von Jean Cayrol, selbst ein Überlebender des Holocaust. Die musikalische Untermalung von Hanns Eisler verstärkt die elegische Wirkung des Films. Er war einer der ersten Filme, die explizit die systematische Vernichtung im Nationalsozialismus thematisierten. In Deutschland fand der Film zunächst wenig Beachtung, die Bundesregierung intervenierte sogar gegen eine Aufführung in Cannes. Später wurde er als wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur anerkannt und gilt bis heute als ein Meilenstein der filmischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust.

Shoah (1985)
Unter den vielen Produktionen, die sich mit den konkreten und individuellen Auswirkungen des Holocaust beschäftigen, gilt Shoah als eine Ausnahmeproduktion. Claude Lanzmanns neun Stunden lange Dokumentation verzichtet bewusst auf Archivmaterial und nutzt dafür Interviews mit Überlebenden und zum Teil auch mit Tätern. Zudem zeigt er, wie die Orte der damaligen Lager zum Zeitpunkt der Filmarbeiten ausgesehen haben (ab Mitte der 70er-Jahre). Der Film bietet tiefgehende Einblicke in die Mechanismen des Holocaust. Er ist vor allem durch die ruhigen Schilderungen der Zeitzeugen sehr eindringlich. Sie beschreiben ganz konkret den Holocaust mit den alltäglichen Schikanen, wie Deportationen stattfanden und sich der grausame Alltag in den Vernichtungslagern gestaltete. Lanzmann ließ die Gespräche ununterbrochen filmen, auch wenn die Zeitzeugen aufgrund der brutalen Erinnerungen zu weinen begannen, da sie es kaum ertragen konnten. Durch die Gespräche entwickelt der Film eine drastische Sogwirkung, die beklemmender wirkt, als manch emotionalisierender fiktionaler Stoff. In der grausamen Konkretheit und Personalisierung des Erlebten bleibt Shoah eines der wirkmächtigsten Zeugnisse des Holocaust.

Fiktionale Produktionen: Emotionalität und narrative Zugänge

Auch wenn Spielfilme sich entlang historischer Fakten bewegen, sind sie nicht als Geschichtsbücher zu verstehen, sondern eher als Interpretationen. Auf diesen Umstand weist Bösch in seinem Essay explizit hin (vgl. Bösch 2023). Er rekapituliert vor allem die relevanten filmischen Auseinandersetzungen mit der NS-Zeit seit der Ausstrahlung der US-Serie Holocaust im deutschen Fernsehen.

Spielfilme konstruieren nicht nur Geschichtsvorstellungen, sondern können auch dazu beitragen, bestimmte Deutungsmuster zu etablieren und individuelle Haltungen zu verändern, sodass sie eine gesamtgesellschaftliche Wirkung entfalten. So gesehen ist die Geschichte der fiktionalen Filme, die sich der NS-Zeit widmen, aufschlussreich, denn es lassen sich Themenkonjunkturen finden, die zuweilen mehr über die jeweiligen zeitgenössischen Perspektiven aussagen als über das Sujet. Es ist für die Wirkung relevant, ob eine Opfer- oder Täterperspektive im Fokus der Geschichte steht. Erzählt ein Film vom Leiden, vom Widerstand oder von NS-Karrieren? Die Diskussionen darüber sind anschlussfähig für Kinder- und Jugendliche und berühren ebenso zeitgenössische ethische Fragen. Die Film- und Fernsehgeschichte bietet hierfür eine Fülle an Material. Fiktionale Werke greifen auf narrative Elemente zurück, um die emotionalen und persönlichen Dimensionen von historischen Ereignissen herauszuarbeiten. Sie bieten oft stärkere Identifikationsmöglichkeiten, laufen jedoch Gefahr, historische Realitäten zu simplifizieren oder zu dramatisieren. „Ein gewisses Leitmotiv der Filme bildete die Frage nach der individuellen moralischen Bewährung im Nationalsozialismus. Diesen Bewährungsproben mussten sich Charaktere unterziehen, die vielfältige Identifikationsangebote eröffneten: sei es der junge Boxer auf der Eliteschule (Napola), die Ehefrau bei der Gestapo (Rosenstraße), der Geistliche oder die Studentin im Verhör (Der neunte Tag; Sophie Scholl  – Die letzten Tage), die Hausfrau gegenüber einer lebensfrohen Jüdin (Aimée und Jaguar), die Sekretärin im Führerbunker (Der Untergang) oder der Jude im Sonderkommando (Die Grauzone)“ (Bösch 2023).

Für eine tiefergehende Beschäftigung in Bildungssettings sind die Dossiers NS-Täter im Spielfilm sowie Widerstand gegen das NS-Regime im Spielfilm von kinofenster.de als Unterrichtsmaterial ab 9. Klasse ein empfehlenswertes pädagogisches Angebot. Nur beispielhaft sei daher an dieser Stelle an einige Produktionen erinnert, die im deutschen Diskurs bedeutsam waren.

Die Mörder sind unter uns (1946)
Der erste deutsche Nachkriegsfilm spielt 1945 im zerbomten Berlin und zeigt eindrücklich, wie ehemalige Täter unbehelligt in der Nachkriegsgesellschaft weiterleben konnten. Mit seinem „Trümmerfilm“ stellte Regisseur Wolfgang Staudte die Frage nach individueller Schuld und Kollektivverantwortung im „Dritten Reich“. Früh sprach er damit Themen an, die in der deutschen Nachkriegsgesellschaft lange tabuisiert wurden.

Ein Tag – Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager 1939 (1965)
Der Fernsehfilm (NDR) unter der Regie von Egon Monk schildert den Ablauf eines Tages in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager. Das Drehbuch von Gunther R. Lys basiert auf dessen eigenen Erfahrungen als Häftling im KZ Sachsenhausen, wo er bis 1944 inhaftiert war. Der Film beeindruckt durch seinen kompromisslosen Realismus, der mit brutaler Authentizität den Sadismus der Aufseher, ihre Willkür und die Erniedrigung der Häftlinge darstellt. Die Handlung beschreibt einen „gewöhnlichen“ Lageralltag: von der Ankunft neuer Häftlinge am Morgen bis zur Nachtruhe in den überfüllten Baracken. Ohne künstliche Dramatisierung liegt der Fokus auf den monotonen, grausamen Abläufen des Lagerlebens und den Konflikten zwischen den Häftlingsgruppen. Punktuell wird diese Realität mit der „Normalität“ außerhalb des Lagers kontrastiert, was eine gesellschaftliche Kontextualisierung ermöglicht. Auch aus heutiger Sicht ist der Film eine Herausforderung mit erstaunlichem Bildungspotenzial.

Jakob der Lügner (1974)
In der DDR wurde die NS-Zeit in vielen Filmen thematisiert, oft mit dem Fokus auf den kommunistischen Widerstand. Eine etwas anders gelagerte Perspektive bietet der Film von Frank Beyer, der nach dem Roman von Jurek Becker das Leben in einem jüdischen Ghetto in Polen thematisiert. Jakob Heym (Vlastimil Brodský), ein jüdischer Mann im Ghetto, hört zufällig eine Nachricht über den Vormarsch der Alliierten. Um seinen Mitmenschen Hoffnung zu geben, erzählt er von weiteren Mut machenden Radionachrichten, die aber erfunden sind. Die vermeintlichen Nachrichten stärken den Lebenswillen der Bewohner, obwohl Jakob zunehmend von Schuldgefühlen geplagt wird. Sein Versuch, echte Informationen zu finden, scheitert, und die Wahrheit über die Nachrichten führt zu tragischen Folgen. Es ist eine parabelhafte Geschichte über die Hoffnung und das Überleben im Ghetto. Jakob der Lügner ist auch heute noch sehenswert und der einzige DDR-Film, der für einen Oscar nominiert wurde. Zudem gewann er 1975 den Silbernen Bären bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin (West). 1999 gab es ein Hollywood-Remake des Filmes mit Robin Williams in der Hauptrolle.

Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss (1978)
Die US-amerikanische Miniserie von Marvin J. Chomsky stellte eine Zäsur dar: Zum ersten Mal sahen 1979 im Fernsehen Millionen Deutsche das Schicksal einer jüdischen Familie während des Holocaust. Die Ausstrahlung der Serie löste in der Bundesrepublik intensive Debatten aus und veränderte die kollektiven Vorstellungen über die Ermordung der Juden. Zudem förderte sie ein breiteres Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Frank Bösch betont, dass „gerade die inhaltliche Anlage von Holocaust maßgeblich die mediale Erinnerungskultur der achtziger Jahre“ prägte, da sie eine „intensivere mediale Repräsentation der Alltagsgeschichte“ bot (Bösch 2023). Holocaust zählt zu den meistdiskutierten Ereignissen der deutschen Fernsehgeschichte. Eine gute Einordnung der Serie hinsichtlich ihrer Bedeutung für die hiesige Erinnerungskultur findet sich in Sandra Schulz Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung Film und Fernsehen als Medien der gesellschaftlichen Vergegenwärtigung des Holocaust (2023).

Schindlers Liste (1993)
Steven Spielbergs Film erzählt die Geschichte Oskar Schindlers, eines deutschen Industriellen, der über 1.000 Juden rettete. Nicht nur Bösch sieht in Schindlers Liste eine weitere Zäsur in der Erinnerungskultur. Der Film knüpfte zwar an Bild des Nationalsozialismus an, das durch vorherige Spielfilme konstruiert worden war, spitzte es aber zu. „So erschien der Nationalsozialismus erneut als eine Korruptionsgesellschaft, jedoch war die moralische Willkür und menschenverachtende Bürokratie deutlich regelloser. Ebenso präsentierte der Film die bekannte Figur des deutschen Retters, brach sie aber leicht, indem er einen Glücksritter in den Mittelpunkt stellte, der sich zunächst ebenfalls an den Juden bereicherte. Stärker als die deutschen Filme zeigte Spielberg die brachiale Gewalt, die die Deutschen im besetzten Polen ausübten“ (Bösch 2023). Spielbergs Meisterwerk hat global Maßstäbe für die filmische Darstellung des Holocaust gesetzt. Schindlers Liste ist ein zentraler Baustein der weltweiten Erinnerungskultur und wird in Schulen und Gedenkstätten häufig verwendet, um das Bewusstsein für die Shoah zu schärfen. VISION KINO bietet ein Unterrichtsmaterial zu Schindlers Liste an.

Der Untergang (2004)
Dieser Film, der die letzten Tage Adolf Hitlers aus der Perspektive seines engsten Umfelds zeigt, war kontrovers, da er die Frage aufwarf, ob Täter Empathie erzeugend dargestellt werden dürfen. Der Film hilft, die Strukturen des NS-Regimes und die Rolle einzelner Akteure kritisch zu beleuchten. Er bietet Ansatzpunkte, um über historische Verantwortung und Täterpsychologie zu sprechen. Oliver Hirschbiegels gelingt eine differenzierte Darstellung der Führungsriege des NS-Regimes. Bruno Ganz’ Darstellung Hitlers löste kontroverse Diskussionen über die Gefahr aus, des Völkermord schuldige Täter wie Hitlermenschlich erscheinen zu lassen. Der Film erlaubt es, die letzten Tage des „Dritten Reichs“ aus einer Innenperspektive zu betrachten, ohne dass die Schrecken der NS-Verbrechen relativiert würden. Er eignet sich, um Mechanismen von Macht, Ideologie und Fanatismus zu diskutieren.

The Zone of Interest (2024)
Der Spielfilm zeigt das Leben der Familie des Auschwitz-Lagerkommandanten Rudolf Höß und basiert auf dem Roman von Martin Amis. Er gewann u.a. einen Oscar und drei BAFTA-Awards. Regisseur Jonathan Glazer konzentriert sich auf den banalen Familienalltag ohne direkt die Gräueltaten im Lager zu zeigen. Die subtile Darstellung macht Perspektivwechsel möglich, die Kontrastierung des idyllischen Familienlebens mit dem hörbaren Schrecken des Lagers erzeugt eine beunruhigende Atmosphäre. Die radikale konzeptionelle Gestaltung des Filmes ist provokant und regt Diskussionen an. Er verzichtet auf explizite Erklärungen und psychologische Deutungen und fördert eine kritische Auseinandersetzung. Der Film wird für den Einsatz im Unterricht empfohlen. VISION KINO bietet ein Filmheft zu The Zone of Interest an.

Dokumentationen als populäre Gatekeeper

Der Name Guido Knopp ist mit der deutschen Fernsehgeschichte insbesondere durch seine prägende Rolle bei der Popularisierung von NS-Dokumentationen in den 90er- und Nullerjahren eng verknüpft. Als Leiter der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte von 1984 bis 2013 brachte er mit Filmreihen wie Hitlers Helfer und anderen einem breiten Publikum historische Themen nahe. Seinem Motto „Aufklärung braucht Reichweite“ folgend, erzielten diese Produktionen hohe Einschaltquoten. Die Histotainment-Produktionen unterlagen jedoch oft zeitgenössischen Aufmerksamkeitsparadigmen. Insbesondere aus der Geschichtswissenschaft wurde vielfach Kritik an den vereinfachenden Darstellungen historischer Zusammenhänge in fernsehgerecht portionierten Dokus geübt, die neben historischen Aufnahmen auch auf Reenactments oder emotionalisierende Zeitzeugeninterviews setzten.

An Dokumentationen über die Nazizeit ist auch heute kein Mangel. Mittlerweile sind Produktionen erfolgreich, die sich auf einer Metaebene bewegen, indem sie sich mit der NS-Aufarbeitung und der Wirkungsgeschichte signifikanter Medienproduktionen beschäftigen. Für Bildungssettings sind diese Filme durch ihren ansprechenden Mix aus Fakten, Reflexion, Zeitzeugenschaft und Visualisierung hervorragend geeignet. Zwei spezifische Beispiele sollen dies im Folgenden verdeutlichen.

Night Will Fall (2014)
Der Dokumentarfilm von André Singer rekapituliert die Entstehung eines Filmprojekts, das britische und amerikanische Alliierte 1945 über die Befreiung der Konzentrationslager der Nazis zu realisieren begannen und basiert letztlich auf dem unveröffentlichten Material, das Alfred Hitchcock und Sidney Bernstein für den Dokumentarfilm German Concentration Camps Factual Survey zusammenstellten. Hitchcocks Film war als Lehrstück für die deutsche Bevölkerung konzipiert, blieb aber unvollendet. Night Will Fall nun zeigt unter anderem erschütternde Aufnahmen der Allierten aus Bergen-Belsen und Dachau und solche der Roten Armee aus Auschwitz und beleuchtet, wie der Holocaust dokumentiert und warum das Material jahrzehntelang nicht veröffentlicht wurde. Als filmisches Zeugnis ist Night will Fall mit dem Film Die Todesmühlen zusammenzudenken, denn letzterer griff auf Teile der Aufnahmen des amerikanischen Militärs zurück.

Wie Holocaust ins Fernsehen kam (2019)
Hervorragend zusammengefasst ist die Wirkungsgeschichte der Serie Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss in der Dokumentation von Alice Agneskirchner, wofür sie 2020 den Grimme Preis erhielt. In der Jury-Begründung heißt es dazu: „Die umfangreiche Archivrecherche verhalf aufschlussreichen Quellen ans Licht, die mit den anderen inhaltlichen und gestalterischen Ebenen des Films, darunter zahlreiche Ausschnitte aus der Serie, auf kluge Weise zu einer überzeugenden und eindringlichen Erzählung über eines der wichtigsten Medienereignisse der späten 1970er Jahre montiert wurde, ohne die Problematik der Fiktionalisierung des Holocaust ganz außer Acht zu lassen.  […] Auf instruktive Weise ist es Alice Agneskirchner gelungen, der Vielschichtigkeit der Serie als fiktionales Produkt, ihrer Ausstrahlung als Medienereignis und deren Wirkung als eine Art Quantensprung in der Bewusstseinswerdung des Holocaust in der bundesdeutschen Gesellschaft gerecht zu werden […].“ (Grimme-Preis 2020) Diese Dokumentation bereitet verschiedenen Zusammenhänge für ein heutiges Publikum klar, plausibel und gut verständlich auf.

Emotionen und Wissenstransfer

Die Auseinandersetzung mit Filmen über die NS-Verbrechen bietet Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, Geschichte nicht nur kognitiv, sondern auch emotional zu verstehen. Diese Filme schaffen es oft besser als Texte, die Grausamkeit und Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus zu vermitteln. Sie fördern Empathie und regen zu einer vertieften Reflexion über moralische Werte, Zivilcourage und die Gefahren von Ideologien an. Der Wert einer Verarbeitung historischer Fakten, welche die Ereignisse vor allem emotional fassbar macht, ist durchaus gut. So wurde 2024 in einer Studie der Stanford University das Potenzial zur Beeinflussung von Haltungen durch Justizdramen nachgewiesen. Menschen, die ein Dokudrama über ein bestimmtes Thema sahen, brachten signifikant mehr Empathie auf als eine Kontrollgruppe ohne Film (vgl. Stanford Report 2024). Durch Filme können komplexe historische Zusammenhänge greifbarer gemacht werden, und sie tragen zur Entwicklung eines kritischen Geschichtsbewusstseins bei.

Filme übernehmen zunehmend die Rolle von Zeitzeugen. Sie bieten jungen Menschen einen Zugang zu diesem dunklen Kapitel der Geschichte, das sie sonst nur aus Lehrbüchern kennen würden. Es ist daher ein ermutigendes Zeichen, dass auch 2024 Filme wie The Zone of Interest oder In Liebe, Eure Hilde von Andreas Dresen ein großes Publikum fanden.

Bösch, Frank (2023): Film, NS-Vergangenheit und Geschichtswissenschaft. Von "Holocaust" zu "Der Untergang". In: Bundeszentrale für politische Bildung. Die Serie „Holocaust“, https://www.bpb.de/themen/holocaust/520907/film-ns-vergangenheit-und-geschichtswissenschaft/ (abgerufen am 20.01.2025)

Grimme-Preis 2020: Wie „Holocaust“ ins Fernsehen kam“. Jurybegründung, https://www.grimme-preis.de/archiv/2020/preistraeger/p/d/wie-holocaust-ins-fernsehen-kam-hanfgarn-ufer-fuer-wdrndrswr-1 (abgerufen am 20.01.2025)

Kinofenster.de (2024): NS-Täter im Spielfilm. Dossier. Unterrichtsmaterial ab 9. Klasse, https://www.kinofenster.de/themen/themendossiers/29210/ns-taeter-im-spielfilm (abgerufen am 20.01.2025)

Kinofenster.de (2024): Widerstand gegen das NS-Regime im Spielfilm. Dossier. Unterrichtsmaterial ab 9. Klasse.
https://www.kinofenster.de/themen/themendossiers/200158/widerstand-gegen-das-ns-regime-im-spielfilm (abgerufen am 20.01.2025)

Schulz, Sandra (2023): Film und Fernsehen als Medien der gesellschaftlichen Vergegenwärtigung des Holocaust. Die deutsche Erstausstrahlung der US-amerikanischen Fernsehserie 'Holocaust' im Jahre 1979. In: Bundeszentrale für politische Bildung. Die Serie Holocaust, https://www.bpb.de/themen/holocaust/517871/film-und-fernsehen-als-medien-der-gesellschaftlichen-vergegenwaertigung-des-holocaust/ (abgerufen am 20.01.2025)

Stanford Report (2024): The transformative power of film. 21.10.2024, https://news.stanford.edu/stories/2024/10/the-transformative-power-of-film (abgerufen am 20.01.2025)

Vision Kino – Netzwerk für Film und Medienkompetenz (2024): The Zone of Interest. Unterrichtsmaterial (ab 11. Klasse).
https://www.visionkino.de/unterrichtsmaterial/filmhefte/filmheft-the-zone-of-interest/ (abgerufen am 20.01.2025)

Autor

Dr. Uwe Breitenborn ist Publizist und Autor mit den Schwerpunkten Mediengeschichte, Musiksoziologie, Sozial- und Kulturwissenschaft. Zudem ist er Dozent und Bildungsreferent bei der Medienwerkstatt Potsdam sowie als hauptamtlicher Prüfer bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) tätig.

[Bild: A. Breitenborn]
Artikel
Artikel
Anmerkungen zum True-Crime-Boom
Artikel
Bizarre Körperwelten in Dokutainment-Formaten
Artikel